Magazinbeitrag über Christian Eidenhardt. Publikation: Spiesser
Magazineproject about Christian Eidenhardt. Publication: Spiesser
Als „medizinisches Wunder“ wurde er von den Ärzten bezeichnet, damals, nachdem alles überstanden war. Einen „Teufelskerl“ nennt ihn sein Chef. Er weiß nicht, als was er sich bezeichnen würde, vielleicht als Kämpfer, als jemand, der sich durchboxt, als Sportler. Alles, aber nicht als Wunder.
Am 29. Januar 2011 erleidet Christian Eidenhardt, damals 25 Jahre alt, eine Gehirnblutung. Schuld ist ein Aneurysma, eine Blutgefäßerweiterung in einer Arterie im Hinterkopf, die schließlich platzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er überleben wird, ist sehr gering. Dass er jemals voll genesen könnte – undenkbar.
Eineinhalb Jahre später, an einem der letzten warmen Sommertage im September 2012, sitzt Christian auf einer Bierbank auf der Terrasse seines Fußballklubs ASV Cham. Er ist ein Typ, den man sich auf dem Fußballplatz vorstellen kann: gut gebaut, breite Schultern, fester Schritt. Sein Händedruck ist selbstbewusst, er lächelt. Hier auf dem Platz ist er zu Hause. Wenn Christian von damals erzählt, wirkt er ruhig, fast routiniert. Schon oft hat er über die Zeit gesprochen, mit seiner Familie, seinen Freunden, den Lokalmedien. Nur manchmal gerät er ins Stocken, wenn es um ihn geht, um die feine Linie zwischen Leben und Tod. Dann sucht er nach den richtigen Worten.
Lieber erzählt er von dem Samstag, an dem der Unfall passierte. Christian nimmt mit seiner Firma am Fußballhallenturnier aller Firmen und Behörden Chams, einer kleinen Stadt in der Oberpfalz, teil. Freunde und Angehörige der Spieler schauen zu. Im ersten Spiel schießt Christian das Siegestor. Im zweiten Match ist er für ein paar Minuten auf dem Feld, dann wechselt ein Kollege ihn aus. Er tritt aus dem Spielfeld. Ein Stich trifft ihn im Kopf. Er fällt bewusstlos zu Boden. Er wacht noch einmal kurz auf, aufgeschreckt von einem kalten Wasserstrahl aus einer Flasche, sagt etwas, übergibt sich und verliert erneut das Bewusstsein.
Aus Erzählungen erfährt er später, dass er unwahrscheinliches Glück hat. Wegen der Sanitäter, die vor Ort sind, und wegen des Fahrers des Rettungswagens, der gleich erkennt, dass er eine Gehirnblutung hat. Weil zufällig ein Ersatzarzt aus Regensburg im Chamer Krankenhaus arbeitet, der ihn sofort in die neurochirurgische Abteilung der Barmherzigen Brüder in Regensburg überweist. Und nicht zu vergessen wegen des Wassers: „Es holte mich kurz wieder ins Bewusstsein zurück. Das war, als hätte jemand die Sanduhr umgedreht.“
Christian wird in ein künstliches Koma gelegt. 17 Tage lang wechselte er von einem OP-Tisch zum nächsten. Was genau geschieht, ist für ihn schwer vorstellbar. Das geplatzte Gefäß wird mit Spiralen abgedichtet, Blut abgesaugt, der Druck auf sein Gehirn verringert. Immer wieder bekommt er Lungenentzündungen und Fieber.
Als Christian nach den gefährlichen Operationen an seinem Schädel aus dem Koma erwacht, ist er blind. Er hört Stimmen, kann aber nichts sehen. Zuerst glaubt er, dass seine Augen geschlossen sind und greift sich zur Vergewisserung an die Lider. Doch es brennt, die Augen sind offen. Für lange Zeit steht er unter Schock.
Familie, Freunde und Ärzte erzählen ihm, was passiert ist, dass er unwahrscheinliches Glück gehabt hat, auch wenn er unfähig ist, sich zu bewegen. Doch das nimmt den Tagen und Nächten im Krankenhaus nicht immer ihren Schrecken. „Wenn ich alleine war, fragte ich mich immer, warum es ausgerechnet mich getroffen hat. Es gibt doch viel bösere Menschen als mich.“ Irgendwann will Christian nicht mehr. Er zieht die Infusionsschläuche heraus und ist bereit zu sterben. Christian stockt, nur für einen Moment, als wolle er sich entschuldigen. Dieser Tag, so erzählt er, sei für ihn sehr wichtig gewesen, weil er danach weiterleben wollte, unbedingt. „Ich hatte so viele Schutzengel. Es hat einfach nicht sein sollen. Es war Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und sich zu sagen: Es geht weiter!“
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Schon auf der Intensivstation beginnt er an sich zu arbeiten. Wie ein Kleinkind sei er gewesen, sagt Christian, mühsam muss er das Selbstverständliche wieder erlernen, schlucken, tasten, greifen. Er übt in Therapiestunden und alleine. Er übt jeden Tag. Bis es klappt. Dann das nächste Ziel, ohne viel nachzudenken, einfach machen. In den Nächten rekonstruiert er seine Vergangenheit: „Irgendwann wusste ich sogar, wo ich mein Auto am Unfalltag geparkt hatte.“
An den schlechten Tagen verträgt Christian kein Essen, hat hohen Blutdruck und unerklärbare Kopfschmerzen. Manchmal will er nicht mehr und weigert sich, zu den Behandlungen zu gehen. Doch dann sind da auch die guten Tage. Seine Uroma kommt ihn besuchen. Seine Mutter bringt ihm frische Zimtnudeln ans Bett. Sein Chef versichert ihm, dass er jederzeit wieder zurück an seinen Arbeitsplatz kommen kann, egal wie lange die Genesung dauere. Und schließlich: Zum ersten Mal darf Christian nach Hause und im Wintergarten die Sonne genießen.
Vier Monate nach seinem Unfall wird Christian endlich an den Augen operiert, die Aussicht wieder sehen zu können, ist vielversprechend. Doch so schnell wie gedacht stellt sich der Erfolg nicht ein, Christian wartet voller Ungeduld. Nach zwei Wochen öffnet er eines Morgens die Augen: „Ich sah den Schrank, die Kommode, meinen Zimmernachbarn. Er sah so ganz anders aus, als ich ihn mir bis dahin vorgestellt hatte.“
Mit dem Sehen kommt auch die Kraft in den Beinen zurück. Christian fragt nach einem Rollator und übt im Krankenhausflur das Gehen, immer vor und zurück. Zuerst braucht er eine halbe Stunde für 20 Meter, nach ein oder zwei Wochen schafft er den ganzen Gang.
Christians Mitpatienten freuen sich, ihn zu sehen, sein Optimismus ist ansteckend: „Es ist so toll, dich jeden Tag zu treffen. Du strahlst immer so viel Freude aus.“ Die Bestätigung gibt Christian Kraft: „Wenn ich mit mir und meinen Erfolgen zufrieden war, zeigte ich das auch und machte so auch die anderen Patienten glücklich. Also quasi eine Win-Win-Situation.“
Seine Eltern zweifeln nie an seiner Genesung. „Am Anfang hieß es immer, dass ich keine fünf Prozent Überlebenschance hätte. Mein Vater sagte damals angeblich zum Arzt: „Wenn mein Sohn eine Chance von fünf Prozent hat, dann schafft der das.” Seine Mutter zieht kurzerhand in die Rehaklinik ein, gibt sich nicht mit der Anzahl an Behandlungen zufrieden, verlangt mehr von den Ärzten. Auch zu Hause kümmert sie sich auf ihre Art: „Du bist kein Pflegefall, also benimm dich gefälligst nicht wie einer“, lässt sie ihren Sohn wissen. Als erfolgreichen Tritt in den Allerwertesten würde Christian es heute bezeichnen.
Christian erobert sich seine Normalität zurück. Bald übt er das Autofahren, legt eine Prüfung für Fahrtauglichkeit ab und darf endlich sein Auto aus der Garage holen. Er besucht Freunde und Verwandte, spielt zum ersten Mal wieder Fußball. Anfang 2012 kehrt er an seinen Arbeitsplatz zurück. „Ich setzte mich an meinen Platz, machte meinen Computer an, gab Namen und Passwort ein.” Christian kann sich noch an alles erinnern, die Abläufe, die Durchwahlen, seine Kollegen sind erstaunt. Nach einem Jahr hat er erreicht, was medizinisch gesehen lange unmöglich schien: So zu sein wie früher.
Die Sonne ist schon fast hinter dem Haus verschwunden, lässt die Bank und Christian im Schatten zurück. Christian ist müde, seine Sätze werden langsamer, er überlegt öfter, seine Stimme verliert an Nachdruck. Zum ersten Mal werden die Nachwirkungen des Unfalls deutlich. Ob der Unfall ihn als Mensch verändert hat, kann er nicht genau sagen: „Ich bin unglaublich dankbar, dass ich hier bin. Aber zu sagen, ich arbeite nicht mehr, ich genieße nur noch mein Leben – das könnte ich nicht. Eher: Ich lebe bewusster. Und um ehrlich zu sein – ich bin froh, wenn einfach mal 24 Stunden vergehen und nichts passiert.“
Text: Evi Lemberger und Franziska Schramm Fotos: Evi Lemberger
Ein Leben wie früher?
September 2012, Cham, Deutschland
Magazinbeitrag über Christian Eidenhardt. Publikation: Spiesser
Magazineproject about Christian Eidenhardt. Publication: Spiesser
Als „medizinisches Wunder“ wurde er von den Ärzten bezeichnet, damals, nachdem alles überstanden war. Einen „Teufelskerl“ nennt ihn sein Chef. Er weiß nicht, als was er sich bezeichnen würde, vielleicht als Kämpfer, als jemand, der sich durchboxt, als Sportler. Alles, aber nicht als Wunder.
Am 29. Januar 2011 erleidet Christian Eidenhardt, damals 25 Jahre alt, eine Gehirnblutung. Schuld ist ein Aneurysma, eine Blutgefäßerweiterung in einer Arterie im Hinterkopf, die schließlich platzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er überleben wird, ist sehr gering. Dass er jemals voll genesen könnte – undenkbar.
Eineinhalb Jahre später, an einem der letzten warmen Sommertage im September 2012, sitzt Christian auf einer Bierbank auf der Terrasse seines Fußballklubs ASV Cham. Er ist ein Typ, den man sich auf dem Fußballplatz vorstellen kann: gut gebaut, breite Schultern, fester Schritt. Sein Händedruck ist selbstbewusst, er lächelt. Hier auf dem Platz ist er zu Hause. Wenn Christian von damals erzählt, wirkt er ruhig, fast routiniert. Schon oft hat er über die Zeit gesprochen, mit seiner Familie, seinen Freunden, den Lokalmedien. Nur manchmal gerät er ins Stocken, wenn es um ihn geht, um die feine Linie zwischen Leben und Tod. Dann sucht er nach den richtigen Worten.
Lieber erzählt er von dem Samstag, an dem der Unfall passierte. Christian nimmt mit seiner Firma am Fußballhallenturnier aller Firmen und Behörden Chams, einer kleinen Stadt in der Oberpfalz, teil. Freunde und Angehörige der Spieler schauen zu. Im ersten Spiel schießt Christian das Siegestor. Im zweiten Match ist er für ein paar Minuten auf dem Feld, dann wechselt ein Kollege ihn aus. Er tritt aus dem Spielfeld. Ein Stich trifft ihn im Kopf. Er fällt bewusstlos zu Boden. Er wacht noch einmal kurz auf, aufgeschreckt von einem kalten Wasserstrahl aus einer Flasche, sagt etwas, übergibt sich und verliert erneut das Bewusstsein.
Aus Erzählungen erfährt er später, dass er unwahrscheinliches Glück hat. Wegen der Sanitäter, die vor Ort sind, und wegen des Fahrers des Rettungswagens, der gleich erkennt, dass er eine Gehirnblutung hat. Weil zufällig ein Ersatzarzt aus Regensburg im Chamer Krankenhaus arbeitet, der ihn sofort in die neurochirurgische Abteilung der Barmherzigen Brüder in Regensburg überweist. Und nicht zu vergessen wegen des Wassers: „Es holte mich kurz wieder ins Bewusstsein zurück. Das war, als hätte jemand die Sanduhr umgedreht.“
Christian wird in ein künstliches Koma gelegt. 17 Tage lang wechselte er von einem OP-Tisch zum nächsten. Was genau geschieht, ist für ihn schwer vorstellbar. Das geplatzte Gefäß wird mit Spiralen abgedichtet, Blut abgesaugt, der Druck auf sein Gehirn verringert. Immer wieder bekommt er Lungenentzündungen und Fieber.
Als Christian nach den gefährlichen Operationen an seinem Schädel aus dem Koma erwacht, ist er blind. Er hört Stimmen, kann aber nichts sehen. Zuerst glaubt er, dass seine Augen geschlossen sind und greift sich zur Vergewisserung an die Lider. Doch es brennt, die Augen sind offen. Für lange Zeit steht er unter Schock.
Familie, Freunde und Ärzte erzählen ihm, was passiert ist, dass er unwahrscheinliches Glück gehabt hat, auch wenn er unfähig ist, sich zu bewegen. Doch das nimmt den Tagen und Nächten im Krankenhaus nicht immer ihren Schrecken. „Wenn ich alleine war, fragte ich mich immer, warum es ausgerechnet mich getroffen hat. Es gibt doch viel bösere Menschen als mich.“ Irgendwann will Christian nicht mehr. Er zieht die Infusionsschläuche heraus und ist bereit zu sterben. Christian stockt, nur für einen Moment, als wolle er sich entschuldigen. Dieser Tag, so erzählt er, sei für ihn sehr wichtig gewesen, weil er danach weiterleben wollte, unbedingt. „Ich hatte so viele Schutzengel. Es hat einfach nicht sein sollen. Es war Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und sich zu sagen: Es geht weiter!“
Schon auf der Intensivstation beginnt er an sich zu arbeiten. Wie ein Kleinkind sei er gewesen, sagt Christian, mühsam muss er das Selbstverständliche wieder erlernen, schlucken, tasten, greifen. Er übt in Therapiestunden und alleine. Er übt jeden Tag. Bis es klappt. Dann das nächste Ziel, ohne viel nachzudenken, einfach machen. In den Nächten rekonstruiert er seine Vergangenheit: „Irgendwann wusste ich sogar, wo ich mein Auto am Unfalltag geparkt hatte.“
An den schlechten Tagen verträgt Christian kein Essen, hat hohen Blutdruck und unerklärbare Kopfschmerzen. Manchmal will er nicht mehr und weigert sich, zu den Behandlungen zu gehen. Doch dann sind da auch die guten Tage. Seine Uroma kommt ihn besuchen. Seine Mutter bringt ihm frische Zimtnudeln ans Bett. Sein Chef versichert ihm, dass er jederzeit wieder zurück an seinen Arbeitsplatz kommen kann, egal wie lange die Genesung dauere. Und schließlich: Zum ersten Mal darf Christian nach Hause und im Wintergarten die Sonne genießen.
Vier Monate nach seinem Unfall wird Christian endlich an den Augen operiert, die Aussicht wieder sehen zu können, ist vielversprechend. Doch so schnell wie gedacht stellt sich der Erfolg nicht ein, Christian wartet voller Ungeduld. Nach zwei Wochen öffnet er eines Morgens die Augen: „Ich sah den Schrank, die Kommode, meinen Zimmernachbarn. Er sah so ganz anders aus, als ich ihn mir bis dahin vorgestellt hatte.“
Mit dem Sehen kommt auch die Kraft in den Beinen zurück. Christian fragt nach einem Rollator und übt im Krankenhausflur das Gehen, immer vor und zurück. Zuerst braucht er eine halbe Stunde für 20 Meter, nach ein oder zwei Wochen schafft er den ganzen Gang.
Christians Mitpatienten freuen sich, ihn zu sehen, sein Optimismus ist ansteckend: „Es ist so toll, dich jeden Tag zu treffen. Du strahlst immer so viel Freude aus.“ Die Bestätigung gibt Christian Kraft: „Wenn ich mit mir und meinen Erfolgen zufrieden war, zeigte ich das auch und machte so auch die anderen Patienten glücklich. Also quasi eine Win-Win-Situation.“
Seine Eltern zweifeln nie an seiner Genesung. „Am Anfang hieß es immer, dass ich keine fünf Prozent Überlebenschance hätte. Mein Vater sagte damals angeblich zum Arzt: „Wenn mein Sohn eine Chance von fünf Prozent hat, dann schafft der das.” Seine Mutter zieht kurzerhand in die Rehaklinik ein, gibt sich nicht mit der Anzahl an Behandlungen zufrieden, verlangt mehr von den Ärzten. Auch zu Hause kümmert sie sich auf ihre Art: „Du bist kein Pflegefall, also benimm dich gefälligst nicht wie einer“, lässt sie ihren Sohn wissen. Als erfolgreichen Tritt in den Allerwertesten würde Christian es heute bezeichnen.
Christian erobert sich seine Normalität zurück. Bald übt er das Autofahren, legt eine Prüfung für Fahrtauglichkeit ab und darf endlich sein Auto aus der Garage holen. Er besucht Freunde und Verwandte, spielt zum ersten Mal wieder Fußball. Anfang 2012 kehrt er an seinen Arbeitsplatz zurück. „Ich setzte mich an meinen Platz, machte meinen Computer an, gab Namen und Passwort ein.” Christian kann sich noch an alles erinnern, die Abläufe, die Durchwahlen, seine Kollegen sind erstaunt. Nach einem Jahr hat er erreicht, was medizinisch gesehen lange unmöglich schien: So zu sein wie früher.
Die Sonne ist schon fast hinter dem Haus verschwunden, lässt die Bank und Christian im Schatten zurück. Christian ist müde, seine Sätze werden langsamer, er überlegt öfter, seine Stimme verliert an Nachdruck. Zum ersten Mal werden die Nachwirkungen des Unfalls deutlich. Ob der Unfall ihn als Mensch verändert hat, kann er nicht genau sagen: „Ich bin unglaublich dankbar, dass ich hier bin. Aber zu sagen, ich arbeite nicht mehr, ich genieße nur noch mein Leben – das könnte ich nicht. Eher: Ich lebe bewusster. Und um ehrlich zu sein – ich bin froh, wenn einfach mal 24 Stunden vergehen und nichts passiert.“
Text: Evi Lemberger und Franziska Schramm
Fotos: Evi Lemberger
Publikation: Spiesser