Anonyme Aufräumaktionen

Mai 2012, Bangalore, Indien

Beitrag über die Umweltorganisation The Ugly Indians. Publikation: Südasien Magazin.

Feature about the environmental group The Ugly Indians. Publication: Südasien Magazin.

Indien gehört laut WWF (World Wildlife Fund), Green Cross Schweiz und anderen Organisationen zu den zehn schmutzigsten Ländern der Welt. Dagegen will die anonyme Umweltgruppe The Ugly Indian (TUI) vorgehen. Gegründet wurde die lose Vereinigung in Bangalore Ende 2010; sie verbreitete sich in kürzester Zeit in ganz Indien. Mittelpunkt ihres Interesses: der vernachlässigte öffentliche Raum. Ihre Ziele: Wiederherstellung und Verschönerung der Städte und der Versuch, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Ihre Methode: „Spotfixing“ – spontane Aktionen von 5 bis 50 Leuten, durch die „hier und da ein Fleck“ – Sportplätze, Kanalabschnitte oder innerstädtische Plätze mittels Müll- und Farbeimer sowie Putzlappen wieder benutzbar gemacht werden sollen.

Die Bürgersteige in Bangalore quellen oft über vor Müll. Männer urinieren an halb abgerissenen Mauern. Und auf der Straße oder in Betonkübeln türmt sich der Abfall, in denen Kühe nach Nahrungsmitteln stöbern. Ein Gestank von faulen Eiern liegt in der Luft, der aber nicht nur von den zugemüllten Straßen, sondern vor allem aus den Flüssen und Kanälen stammt, die so verschmutzt sind, dass das Wasser nicht mehr fließen kann.

„Wir müssen selbst Verantwortung übernehmen“, sagt ein Mitglied von TUI. Der Mittdreißiger arbeitet als Designer; er sieht mit seinem kurzen, schütteren Haar, seinem glattgebügelten karierten Hemd und einer beigen Hose aus wie viele andere Inder aus der Mittelschicht. Durch Freunde hatte er von der Organisation TUI erfahren. „Ich habe mich gleich dafür interessiert, weil sie genau wie ich genug von den verschmutzten öffentlichen Orten hat“, sagt er und ballt seine rechte Hand leicht kämpferisch zu einer Faust.

Er erzählt von seiner Hauptaufgabe: der Überwachung der Church Street. Eine Einkaufsstraße im Herzen von Bangalore, die an manchen Tagen von mehr Menschen besucht wird als das Taj Mahal. Hier geben die Leute Geld aus, haben Spaß und produzieren viel Müll, der vor Ort liegen bleibt. „Das kann man keinem zumuten“, sagt der Ugly Indian, der anonym bleiben will. Deswegen hat die Gruppe diese Straße, die sich über einen Kilometer erstreckt, ein Jahr lang zum Mittelpunkt ihrer Arbeit gemacht. 100 Straßenecken wurden repariert, eine fast ein Kilometer lange Wand bemalt, 150 ökologische Abfalleimer und über zehn Pissoirs aufgestellt.

 

Die Gruppe gab sich Regeln

Das TUI-Mitglied redet sich während des Gesprächs immer weiter in Rage, und eins wird sehr deutlich: Er weiß über die Arbeit der Gruppe genau Bescheid. Jede Aktion bedarf einer akribischen Vorbereitung. Bevor die Orte gesäubert und verändert werden, sind eine gründliche Recherche und die Zusammenarbeit mit den ansässigen Bewohnern und Arbeitern nötig. Erst wenn man einen gemeinsamen Weg gefunden hat, ist ein Spotfixing erlaubt. „Das kommt aus meinem Studium“, sagt der anonyme Ugly Indian, „im Designbereich macht es keinen Sinn, etwas zu initiieren, ohne sich der Resultate sicher sein zu können.” Daneben gebe es eine Reihe von anderen internen Regeln, die einzuhalten seien: keine Zusammenarbeit mit NRO oder Politikern, gleiche Anzahl der beteiligten Frauen und Männer, keine öffentliche Preisgabe von Namen.

Einige Straßen weiter steht das Oracle Gebäude. Die Straße davor ist gut begehbar. Doch vor zwei Jahren sah es hier noch ganz anders aus: Die Bürgersteige waren gespickt mit Schlaglöchern, die Straße übersät mit Unrat und die Mauern verschmutzt. Dann kam die Aktion TUI. Zehn bis zwanzig junge Frauen und Männer stürmten den Ort geradezu. Ihre Gesichter waren von Masken verdeckt, und um ihre Köpfe hatten sie Tücher geschlungen. Sie entfernten halbabgerissene Poster von den grauen Steinwänden und ersetzen sie durch frische rote und weiße Farbe. Dann rissen sie den Boden mit schwerem Gerät auf, reparierten die Bürgersteige und säuberten den ganzen Platz. Das war nur eine von jährlich über 100 allein in Bangalore initiierten Aktionen. Immer mit dabei: eine Kamera. Die daraus resultierenden Videos mit eingeblendeten Standardslogans wie „Just around the Corner“ und „This is a spot that needs fixing“ werden über soziale Medien verbreitet. Sie sind der einzige Beweis, dass die Gruppe existiert. Ansonsten versucht sie möglichst anonym zu bleiben. „Wir wollen zwar Aufmerksamkeit erregen, aber nicht für unsere Gruppe, sondern dafür, dass jeder etwas tun kann“, sagt der junge Mann. Um das zu untermauern, hat die Bewegung selbst den anfänglich vorhandenen Kontakt zu Medien eingeschränkt und sich immer mehr abgeschottet.

Doch das scheint der Verbreitung ihrer Videos nicht zu schaden. Aus der Gruppe, die zuerst nur unter Insidern bekannt war, wurde eine, die inzwischen 14.000 Facebook-Likes hat. Unterschiedliche Blogs und auch Nachrichtensender verfolgen regelmäßig ihre Aktionen und sogar Einheimische aus der IT-Branche oder Studenten aus dem Ausland kontaktieren sie, um ehrenamtlich etwas beizutragen. „Das freut mich sehr“, sagt das Mitglied der Gruppe, das zum ersten Mal seinen Redefluss stoppt und für einen Moment überlegt: „Ich weiß aber nicht, ob es an uns liegt oder am Zeitgeist.“

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Der Ripple-Effect

Schließlich entstand neben TUI in den vergangenen Jahren eine Reihe von anderen Gruppierungen, die sich für Umwelt und öffentliche Angelegenheiten einsetzen. Angefangen mit dem sehr künstlerisch orientierten Wall Project, einem freiwilligen Zusammenschluss aus Amateurmalern, die Mumbai im Einvernehmen mit den Bewohnern der Stadt durch Straßenmalerei verändert, über die Organisation Ecofreaks bis hin zum Unternehmen Kuppathotti, das eine neue kostenlose Recyclingabholidee anbietet: Das junge Unternehmen holt wiederverwertbaren Hausmüll direkt an der Haustür ab. Eigentlich für uns vertraut – aber: Für die Entsorgung erhält der Kunde eine Entlohnung![1]

Speziell für Indien, dessen Bevölkerung sich noch über Kasten identifiziert, ist hierbei das komplett Neue das Schichten übergreifende Engagement. Die Beweggründe sind ganz unterschiedlich: Die Forward Looking Indians machen es, weil es angesagt ist, die Straße sauber zu halten. Andere aus Liebe zu ihrem Land oder aus dem Interesse an Tradition und Verantwortung.

So unterschiedlich ihre Ansätze auch sind, eins haben sie alle gemeinsam: Sie scheinen in Abgrenzung zur vorangegangenen Generation zu handeln, meint Jugendforscher Kaustav Sen Gupta. „Vor zehn Jahre waren Jugendbewegungen in Indien eher politökonomisch orientiert und auf ihren eigenen Fortschritt ausgerichtet“, sagt er, „heutzutage sind sie fast frei von politischem Einfluss.“ Das Motto: Protestiere und verändere selbst. Sei es in Sachen Korruption, Umweltverschmutzung, Medien oder Internet. „Und dieser sehr gemäßigte Aufstand hat großes Potenzial“, sagt Sen Gupta, der seine Theorie gerne erklärt: „Das Denken in Indien ist immer noch von der Kolonialzeit geprägt und bedarf vieler Veränderungen. Die Grauhaarigen, die an der Macht sind, haben oft zu viel Angst, Veränderungen anzustoßen. Aufgrund dessen werden Proteste wachsen und die Reformen vorankommen. Eingeleitet werden diese durch die Aktionen der Jugend. Und hierbei macht es keinen Unterschied, ob sie die Stadt oder das System säubern.“

Unser Gesprächspartner von den Ugly Indians macht heute seinen üblichen Spotcheck durch die Church Street. Einige Blumenkübel liegen zerbrochen auf dem Boden. Daneben ist der Boden aufgerissen. „Es ist halt so“, sagt er, „Verfallserscheinungen sind normal.“ Er nähert sich dem Loch und schiebt mit dem Fuß einen Stein darüber. „Die Qualität der Instandhaltung ist jedoch immer abhängig von den Möglichkeiten, die man hat“, sagt er. Dabei gibt es für ihn keinen Platz für Frustration, sondern nur für mehr Arbeit und mehr Einsatz. Der junge Mann sieht sich um, hebt ein paar Papierschnitzel und einen Chai-Becher aus Plastik auf und wirft sie in den Müllkorb. Dann lächelt er.

[1]As streets overflow with recyclable garbage and cities struggle with inept management systems, Kuppathotti.com, an online venture started by the Chennai based couple Jegan and Sujatha, provides recyclable waste collection services at the doorstep and also pays you for the junk. There are 3500 registered customers selling their waste to Kuppathotti. Within 15 days of registration, the customer is visited by the Kuppathotti executive, who collects newspaper, milk sachets, plastic, metal and even e-waste and loads them on to a van.” See more at: http://www.cleanindiajournal.com/website_for_waste_disposal/#sthash.dj8Ye9ci.dpuf

Fotos: Evi Lemberger

Text: Evi Lemberger / Katharina Finke

Publikation: Südasien Magazine #2/2014

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