Der Führer steht auf Apfelkuchen

August 2014, Leipzig, Deutschland

Beitrag über die satirische Partei Front der deutschen Äpfel anlässlich ihres 10jährigen Geburtstages für das Magazin Freitag.

Feature about the satirical party Front der deutschen Äpfel due to their 10th anniversary for the magazine Freitag.

Bewegung Seit zehn Jahren kämpft die Front Deutscher Äpfel gegen Nazis: mit schwarzem Humor und internationalem Erfolg

Ganz links sitzt der Obersturmpraktikant, daneben der sogenannte Finanzhai, neben dem die Kultur- und Kriegsministerin Platz genommen hat, und am Ende des Tisches thront der Propagandaminister. Der Funk- und Fernsehminister ist auch dabei. Und schließlich der Führer – natürlich. Wir befinden uns bei einem „konspirativen Treffen“, in einem Altbau in der Leipziger Karl-Heine-Straße, in der derzeit hippsten Gegend der Stadt. Die Tagesordnungspunkte sind noch offen. Deswegen erst mal: Bier trinken. Dann den Kuchen anschneiden. Selbstverständlich Apfelkuchen. Was sollte es zum zehnjährigen Geburtstag der Front Deutscher Äpfel anderes geben?

Die Apfelfront ist ein linkes Aktionsbündnis, das sich einen Namen mit Gegenprotesten zu Naziaufmärschen gemacht hat, vor allem in und um Leipzig, Halle und Dresden. Ihr Credo: den Humor als Waffe einsetzen, Rechtsradikalen damit entgegentreten, Medieninteresse wecken, die Zuschauer irritieren oder zumindest für Unterhaltung sorgen. Ihre Methode: mit adrett frisierten Seitenscheiteln, braunen Anzügen, roten Armbinden mit schwarzem Apfelzeichen auf weißem Grund dort aufmarschieren, wo Nazis sind – und die Gegendemonstration als Satire auf das Gedröhne des „Dritten Reichs“ inszenieren. Und das tun sie erfolgreich. Internationale Medien wie die BBC haben über sie berichtet, und mittlerweile gibt es auch Apfelfront-Ableger in Japan, Ungarn und Italien.

Die Obstfront reicht bis Japan

„Wir planten die Apfelfront als einmalige Performance. Damals waren wir uns nicht bewusst, dass es so viel Aufmerksamkeit erregen würde. Und es zeigt, dass es eine Marktlücke schließt“, sagt Alf, ehemaliger Kunstprojektmacher, heute Hausmann und Vater und Gründer der Gruppe. Er ist auf lustige Art laut, macht Unmengen von Witzen und erzählt von den Anfängen. Von der Wahl in Sachsen 2004, bei der die NPD neun Prozent erhielt, worauf die Partei in den Landtag einzog und alle erst einmal schockiert waren. Von rechtsradikalen Demonstrationen in der Südvorstadt, dem „Kreuzberg von Leipzig“ – und von der Suche nach neuen Methoden der Gegenwehr. Eben nicht nur hilflos am Rand herumstehen und „Nazis raus“ rufen. Aber auch nicht militant sein. Irritation und Souveränität sind das Ziel.

„Humor ist krampflösend. Humor ermöglicht Kommunikationsangebote, und Humor hat eine unterhaltende Funktion, vor allem, wenn die Demonstrationen fünf bis sechs Stunden dauern können“, sagt Alf. Und: „Humor ist auch eine Art Entmystifizierung. Wir wollen sagen, dass die Ideologien nicht allzu kompliziert sind. Außerdem wollen wir den Nazis zeigen: ,Wir haben keine Angst vor euch. Wir machen uns lustig über euch.‘“

Aus dem ersten Auftritt, der eine einmalige Sache sein sollte, wurde schnell ein Bündnis, das fortan regelmäßig zur Tat schritt. Den anderen Gegendemonstranten gefiel es, es gab Applaus, wenn die Apfelfront auftrat. „Die Reaktionen waren so überraschend positiv, dass wir daran dachten, doch wieder aufzuhören. Das Ding war ja als Irritationsmoment angelegt, und wenn man fester Teil der Show wird, verliert man natürlich die Wirkung“, sagt Max Upravitelev, der Propagandaminister der Äpfel, sonst als Freiberufler im Kulturbereich tätig.

Satirische Kaderschmiede

Während die Gruppe also schon Rückzugsüberlegungen anstellte, das war um 2006, nahmen die Demonstrationen der Rechtsradikalen ab. Christian Worch, der damalige Chefstratege der militant rechten „freien Kameradschaften“ und eine der wichtigsten Figuren der Naziszene in Deutschland, wurde mit den Worten „Von den Wessis lassen wir uns doch nichts sagen“ von den lokalen ostdeutschen Nazigruppen verjagt, die NPD zerstörte sich selbst. Kein Nutzen mehr für die Apfelfront?

Robin, der Finanzhai der Gruppe, sagt: „Man muss die Apfelfront als Kaderschmiede sehen, wo Leute subversive und satirische Aktionen lernen können. Für junge Menschen ist das oft neu.“ Derzeit sitzt ein japanischer Aktivist daran, die Homepage der Apfelfront für seine Landsleute zu übersetzen, von vorne bis hinten. Auch die ungarische Knoblauchfront arbeitet mit den Äpfeln zusammen.

Inzwischen steht die Neue Rechte im Zentrum der Apfelfront-Aktionen. Die Lippen von Propagandaminister Max verspannen sich bei diesem Thema. „Das ist eine neue Entwicklung und sie ist sehr gruselig. Letztes Jahr waren wir auf der Compact-Konferenz. Dort haben wir das neue Feindbild gesehen. Es sieht bürgerlich aus, kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Sie fühlen sich sehr wohl in der Opferrolle – das sind eben Denkstrukturen, die man von Nazis auch kennt.“

Individualismus, der Appell an Eigenverantwortlichkeit und die Überforderung des einzelnen Bürgers: Prompt verlieren sich die Mitglieder der Front Deutscher Äpfel in einer Diskussion über die Ursachen für diese neue Strömung. Max möchte etwas sagen, aber zuerst ist Robin dran, und dann setzt sich doch wieder Alf durch. Sie haben alle studiert. Politik, Wirtschaft, Philosophie, Kunst, Kultur und so weiter. Sie sind gebildet, jung, tragen ordentlich gebügelte Hemden, Hornbrillen. Sie relativieren, verurteilen nicht den Einzelnen. Stattdessen versuchen sie, genau zu beobachten, die Verführungskraft der (Neo-)Nazis zu verstehen und Lösungen zu finden. Ihre Aktionen sind punktgenau, genau durchdacht – und ihr Humor ist manchmal so schwarz, dass sie sich jetzt hier, bei Kaffee und Kuchen, gegenseitig fast den Mund verbieten wollen. Man wisse doch, wie falsch das alles gelesen werden könne, in den Medien und so.

Haben sie nach zehn Jahren Apfelfront-Arbeit denn etwas von den Nazis gelernt? Funk- und Fernsehminister Tom Rodig fasst es so zusammen: „Ich verstehe inzwischen besser, wie sie ticken und was ihre Motivation ist. Und ich kann jetzt wahrscheinlich auch besser sagen, warum ich sie scheiße finde.“

Fotos/ Text: Evi Lemberger

Publikation: Freitag Ausgabe 32/14