On Tour

März/April 2013, Deutschland/ Belgien/England

Ein Magazinebeitrag über die Tour der Band ‚Din Martin‘. Publikation: Päng

A magazine feature about the tour of the band ‚Din Martin‘. Publication: Päng

Sex, Drugs and Rock’n Roll, so stelle ich mir meine erste Tour vor. Und wenn nicht das, dann zumindest viel Alkohol, wenig Schlaf, Unplugged-Sessions im Tourbus und ein paar Groupies. Aber eigentlich hatte ich keine Ahnung, was mich erwartete, als mich Martin eins fragte, ob ich Lust hätte, ihn und seine Band mit der Kamera zu begleiten. Martin eins heißt eigentlich Martin Hummel und ist ein alter Freund aus Leipzig. Er und seine drei Kollegen Ole Tönse (Gitarre), Carsten xy (Bass) und Martin (zwei) Zickenrott (Schlagzeug) veröffentlichten 2011 ihre erste Platte und sind seitdem auf der Suche nach dem entscheidenden Durchbruch. Der Traum: von der Musik leben zu können. Der Sound von DIN Martin lässt sich vielleicht noch am ehesten mit dem Begriff „experimentelle Rockmusik“ umschreiben. Ich mag diese Musik, ich finde sie gut, interessant, spannend. Aber das ist nicht der Grund, warum ich ja sagte, als Martin eins fragte, ob ich mitkommen will. Eigentlich will ich wissen, wie es ist: Zum ersten Mal auf Tour.

Startschwierigkeiten

Der Tourbus, den die Band gemietet hat, ist knallrot. Ein Neun-Sitzer, Marke Ford. Beladen und losfahren, vielleicht ein Foto zwischendurch, für die Facebook-Page. Das ist der Plan. Doch zunächst heißt es erst mal warten, denn Gitarrist Ole kommt zwei Stunden zu spät.

Im Bus versucht Ole sich zu verteidigen: Eine Ausnahmesituation sei es gewesen, er hätte alles in seiner Macht stehende getan, aber er hat im Arbeitsamt ewig warten müssen und es sei wichtig gewesen, es ginge schließlich um sein Studium als Audio Engineer und dessen Finanzierung. Martin eins sitzt auf dem Beifahrersitz wird energisch. Man komme nicht einfach zu spät und wenn ja, dann könne man doch bitteschön Bescheid sagen. Es ginge hier um die Band und so könne es nicht funktionieren. Und wenn das so weitergeht, wolle er auch gar nicht mehr mitmachen. Und eine Tour schon gar nicht. Er dreht den Kopf, blickt auf die Straße.

Der Verkehrsstrom und die alten Häuser Leipzigs ziehen an uns vorbei, eine großes Feld, ein Sportplatz, schließlich die Autobahn. Es wird ruhig im Auto. Carsten, der Schlagzeuger, zieht seine taz heraus und beginnt zu blättern, Michi, der Gelegenheits-Manager der Band, schließt die Augen. Vier Musiker unter einen Hut zu kriegen ist schwierig. Man macht zusammen Musik, das ist das, was alle lieben – und dann geht es aber doch um ganz alltägliche Dinge: Zeitmanagement, Organisation und mit den anderen einen Kompromiss finden.

One the road

Wir übernachten bei Janek, in einem Dachzimmer, das an die Kombüse eines alten Schiffes erinnert. Holzvertäfelung an den Wänden, Schifffahrtsbilder und zwei Leuchten. Dazwischen ein schweres hölzernes Bett. Der Boden bedeckt mit Matratzen. Janek ist ein Chaot, sein dreistöckiges Haus eine Ansammlung von Erinnerungen. Er hat oft Gäste hier über Nacht, früher über Couchsurfing, jetzt über airbnb. Ein bisschen Geld schadet nie, vor allem da Brügge eine gute Stadt für Touristen und die Wohngegend hier sicher sei. Ich nehme das Bett, die Jungs schlafen auf den Matratzen. Niemand sagt etwas dagegen.

Ole

Ole lächelt. Ich sage nichts, stattdessen blicke ich ihn weiter durch meine Kamera an. Warte. Er lächelt mich an. Immer noch. Grinst. Die anderen Jungs ignorieren mich. „Does someone know“, „As I need you“, „Before you faint“. Sie murmeln. Wir sitzen im winzigen Backstage-Raum eines  Clubs. Durch die Wände dringt dumpf die Musik der Vorband. „As I need you muss raus.” Martin zwei und Carsten streichen einige Lieder, das heutige Set ist kürzer als sonst.

Ole hat mittellanges Haar, zerzaust ins Gesicht hängend. Er erinnert mich an Tocotronic und die deutsche Intellektuellen-Studenten-Schrammel-Zeit. Und an einen Typen, in den ich während meiner Radiozeit verschossen war. Ich warte noch immer. Es geht mir nur um das Foto. Das Bild vor dem Auftritt. Kann er nicht einfach nur Angst haben? Seine Unsicherheit zeigen? Die Ungewissheit des Momentes leben? Ole grinst. Ich möchte etwas sehen, das nicht da ist. Er ist Musiker, kein Lampenfieberer.

Bei den wichtigen Leuten

Fünf Stunden Fahrt inklusive Fähre liegen hinter uns und wir haben noch ein wenig Zeit vor dem ersten Konzert in London. Wir besuchen die Bookingagentur der Band. Die Martins unterhalten sich, Ole flippt desinteressiert durch ein paar Magazine, Michi lässt seine Augen über die Poster an den Wänden wandern. Zwei Frauen im 80er-Jahre-Ramsch-Kitsch-Look stöckeln von einem Schreibtisch zu einem anderen, unterhalten sich über die Abendplanungen für eine Band. Im anderen Zimmer stehen eine paar Jungs, cool, unnahbar und gut aussehend, oder zumindest stylisch – eben wie eine Band aussehen soll.

Später erzählt mir Martin eins, dass der Booking-Manager DIN Martin um Hilfe fragte, ob sie für einige Bands, die er unter Vertrag hat, in Deutschland Auftritte zu besorgen könnten. Martin eins geht neben mir durch den Flur, die Eisentür des in ein modernes Büro verwandelten Fabrikgebäudes schlägt zu. Er hält inne, denkt nach, runzelt die Stirn. Wo stehen sie und was können sie sich erlauben? Umgeben von tausend anderen Bands, die besser, vielleicht schlechter sind, aber alle wie sie nach oben wollen. Was muss man machen und was soll man lassen?

Carsten

Carsten ist immer in der Dunkelheit auf der Bühne. Die Scheinwerfer sind zumeist auf die Martins gerichtet, manchmal auf Ole, nie auf den Bassisten. Doch der Bass gibt den Rhythmus an, bildet die Basis für die Musik.

 

Platzangst

Auf Tour gibt es drei Dinge, um die sich alles dreht: Zum nächsten Gig fahren. Etwas zu essen suchen und finden. Um den nächsten Schlafplatz kümmern. Duschen, Trinken und sich mal die Füße vertreten sind auch nicht schlecht, aber eigentlich zweitrangig.

„Zuerst die Rucksäcke bitte, alle in die Ecke… Ja aufeinander.“ – „Im kleinen Schrank unter der Treppe wäre auch noch Platz.“ – „Die Musikinstrumente kommen alle mit. Ja, auch die Verstärker.“- „Es wird eng!“- „Ja, ich weiß, aber wir schaffen das schon.“ Stimmen aus allen Richtungen. Ich drücke mich an die Wand des schmalen Ganges neben der Treppe zum oberen Geschoss, Carsten schiebt sich mit Rucksäcken über Kopf tragend an mir vorbei. Wir sind erschöpft und haben uns auf einen gemütlichen Schlafplatz gefreut.

Michi unterhält sich mit einem Mädchen aus Deutschland, sie ist selbst nur zu Gast, die Freundin einer Freundin. „Ihr könnt in der Küche schlafen. Es ist nur ein bisschen kalt, denn die wollen Heizkosten sparen.“ Martin zwei schließt die Eingangstür, ein paar Drumsticks in den Händen, Regenwasser von seiner Kapuze triefend. „Alles ist drinnen. Lasst uns ein Bier aufmachen.“

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Martin eins

So wie Martin eins stelle ich mir den perfekten Frontsänger vor. Martin ist off-stage ein unscheinbarer junger Mann, nicht überragend gut aussehend, nicht sehr speziell gekleidet. Tritt er in das Lampenlicht, verwandelt er sich. Sein Gesicht geht mit der Musik auf eine Reise, er weist dem Publikum den Weg. Sein Körper gibt den Rhythmus vor, sein Gesicht lässt Raum für Interpretation. Und im richtigen Moment streicht er sich die Haare aus dem Gesicht.

Als Martin anfing zu singen, stand er steif auf der Bühne, seine Gitarre, sein Mikrofon und er. Keine Regung in seinem Körper. Freunde rieten ihm: Beweg dich, nimm dich der Musik an, fühle sie. Die Zuschauer müssen sehen, dass du die Musik auch lebst. Heute spielt DIN Martin in London, in einem  Pub im Norden der Stadt, das bekannt ist für seine Live-Abende. Es ist fast Mitternacht, fünf Bands waren schon dran, DIN Martin ist der Haupt-Act. Martin eins ist unsicher. Seine Stimme bricht leicht und er weiß nicht so recht, wie er die Stille zwischen den Liedern füllen soll. Er lächelt verschmitzt und sagt das einzig Richtige: „I am super nervous. But I feels really good to be here.“

After Show Party

Die Bühne ist schon fast wieder leer, zurück bleiben ein Verstärker und der Teppich, der eigentlich Martin zwei gehört und wichtig ist. Wegen dem Schlagzeug, das es nicht wegrutscht. Der Auftritt war okay, sagen die Jungs später in einem Pub in Bristol, für einen Montag. Denn wer geht schon an einem Montag weg? Als Vorband hatten sie eine Ex-Londonerin, die jetzt in Bristol wohnt. Eine Einfrauband mit silbernem Glitzerdress und rotem Lippenstift, eine Gitarre um ihre Schultern, zwei Mikrophone vor sich. Mehr Musiker brauchte sie nicht, sagt sie. Es würde sie nur einengen, in ihrer kreativen Entfaltung und fehlen würde ihr schon gar nichts.

Der Produzent von Portishead hätte kommen sollen, er stand in Kontakt mit Martin eins. Mehrmals habe er ihm geschrieben, aber wahrscheinlich bekäme dieser tausend solche Anfragen, meint Martin eins. Stattdessen kam Jeffrey Johns oder auch „Big Jeff“, der mysteriöse große blonde junge Mann der zu jedem wichtigen Konzert in Bristol geht und eine Twitter-Fanbase von dreitausend Followern hat.

Der letzte Take

In Devon im Südwesten Englandes soll das Musikvideo zum neuen Lied „Fall“ entstehen. Gedreht wird auf Pferdewiesen, in Wäldern, unter Brücken und am Meer. Es regnet, zweitweise stürmt es und wir müssen vor verärgerten Bauern und Pferden fliehen. Meine Schuhe sind nass, die Hände zittern.

Die Glasperlen rollen. Eins, zwei, drei. in den Sand. „Bitte nochmal.“ Eins, zwei, drei. „Etwas langsamer. Fertig, sehr gut. Nächster Take. Bitte auf die Kamera zugehen. Langsam. Wenn ich los sage. Wenn du bei der Kamera bist, tipp das Gurkenglas an und schau hindurch, zähle bis zehn. Ja, du kannst losgehen. Ja, geh los. Ach, du kannst mich nicht hören. Alles nochmal auf Anfang.“

Letzter Drehort bevor wir nach Hause wollen. Wir suchen nach ungewöhnlichen Perspektiven, irrealen Momenten. Die Glasperlen sind eine Idee von Martins eins, sie geht zurück auf ein Erlebnis. Bei minus 10 Grad traf Martin eine Frau, morgens um 6 im Schlafanzug und auf Socken. Martin sagt, sie hatte eine Mission. Die Menschen um sie herum fragten, was sie suche. Aber sie habe es nicht beantworten können. Und so hat sich in Martins Kopf etwas entwickelt, diese Idee von verschrobenen Weltansichten, die für Außenstehende keinen Sinn machen.

Martin zwei  

Als ich Martin zwei zum ersten Mal sah, dachte ich, er sehe viel zu jung aus für sein Alter. Heute denke ich: Es passt. Vielleicht weil ich selbst älter geworden bin. Martin zwei ist der Schlagzeuger, kreative Kopf, Organisator und Ruhepol der Band. Selbst in den stressigsten Situationen baut er ruhig sein Schlagzeug auf und genau so ruhig, kümmert er sich während der Tour um alles, was geklärt und gelöst werden muss. Dagegen ein wirklich losgelöster Moment: In einer Nacht in der Jugendherberge gibt er sich die Kante und läuft lauthals lachend und völlig aufgedreht durch die Gänge.

The End 

Musikantenleben ist kein Lotterleben. Die Jungs arbeiten, schlafen, essen und dazwischen planen, denken und reden sie. Sex, Drugs und Rock’n’Roll kann man mal machen, aber nicht immer, weil man ja am nächsten Tag seine Stimme noch braucht und die eigene Freundin nicht verlieren möchte. Nach 40 Tagen bin auch ich froh, wieder zurück in Deutschland zu sein.

Text: Evi Lemberger / Franziska Schramm

Fotos: Evi Lemberger

Publikation: Paeng

OnTour_Paeng#5

Ausstellung

Cordonhaus, Cham, Dezember 2014

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https://dinmartin.bandcamp.com