Der Ganges ist Kultstätte und Wäscherei

2012, Varanasi, Indien

Beitrag über die Verschmutzung des Ganges in Indien. Publikation: Mittelbayerische Zeitung

Feature about the pollution of the river Ganges in India. Publication: Mittelbayerische Zeitung

INDIEN Der heilige Fluss gehört zu den fünf verschmutztesten Gewässern der Welt. Die Regierung handelt langsam und ist in ihren Möglichkeiten begrenzt.

VARANASI. Der Sari, vollgesogen mit Wasser, klebt an ihrem Körper. Die In-
derin ist ungefähr Mitte 70 und steht zwischen Hunderten Menschen an den Stufen, die zu den Ufern des Ganges führen. Sie ist eine von vielen, die nach Varanasi – der ältesten Stadt Indiens – kommen, um ein Bad im heiligen Fluss zu nehmen. Bevorzugt wird nach der Sonnenaufgangszeremonie am Dashashwamedh Ghat, dem bekanntesten Zeremonieort an den Ufern des Ganges, gebadet. Jeder Hindu sollte einmal im Ganges gebadet haben. In nahezu jeder hinduistischen Zeremonie spielt Gangeswasser eine Rolle. Ein Bad im heiligen Fluss soll Sünden vergeben und Heil bringen.

Problem sind Abwässer und Müll. 

Doch der Ganges hat in seinem Erscheinungsbild in seiner Heiligkeit eingebüßt, zählt zu den fünf meist verschmutzten Gewässern der Welt. Die Gegend um Haridwar hat täglich mit über 14 Millionen Litern Abwasser und illegalem Minenabbau zu kämpfen. In Zentren wie Kanpur werden Industrieabfälle in das Wasser geleitet. Auch Varanasi gehört zu den am stärksten betroffenen Gebieten. Steigende Einwohnerzahlen, Müll und die heiligen Verbrennungen von Toten – mit anschließender Entsorgung im Wasser – sind Gründe für die starke Verschmutzung. Doch der Fluss ist grundlegender Bestandteil im Leben der Bevölkerung. Rund zwei Millionen Inder nehmen täglich ein Bad im Ganges – er ist Wäscherei, Freizeitdomizil und Abkühlungsort für die unzähligen heiligen Kühe. Weil Grundwasser fehlt, kommen viele Menschen zum Fluss, um Wasser zu schöpfen. Ein ernst zu nehmendes Problem, denn laut einer Messung der Sankat Mochan Foundation beträgt der biochemische Sauerstoffbedarf des Wassers 20 bis 50 mg/Liter. Das bedeutet, dass der im Wasser enthaltene Schutzstoff nur schlecht abgebaut wird. Das Wasser enthält zudem 0157:H7 Bakterien, an denen Menschen sterben können. Cholera, Diph-
therie oder Hautkrankheiten sind an der Tagesordnung. Die Regierung versucht schon seit vielen Jahren, mit dem Ganges-Action-Plan entgegenzuwirken. Diesen 15-Jahresplan halten viele Inder für Verschwendung. Denn anstatt den Fluss effektiv zu reinigen, wurden zehn Millionen Rupien verpulvert. Veer Badra Mischra von der Hilfs-
organisation Sankat Mochan Foundation, die seit 25 Jahren für die Rettung des Ganges kämpft, schüttelt nur den Kopf: „Die Idee ist gut. Aber leider benutzten sie Methoden, die nicht den Umständen angepasst sind.“ In einem Land mit täglichen Stromausfällen habe es keinen Sinn, eine Entsorgung und Reinigung mit Maschinen auszuführen, die mit Strom angetrieben würden. Zahlreiche Organisationen suchen nach alternativen Möglichkeiten – von Aufräumarbeiten über Schulaufklärung bis hin zu Kläranlagen.

Hungerstreiks als Protest

Eine andere Art, auf die Verschmutzung hinzuweisen, sind Hungerstreiks – eine in Indien übliche Form des Protests, die schon Mahatma Gandhi praktizierte. 2011 starb der 36-jährige Swami Nigamananda währenddessen und kürzlich brach in Varanasi der 80-jährige Aktivist Dr. G.D. Agrawal seinen Protest nach 68 Tagen ab. Es war sein dritter Hungerstreik für den Ganges. Wie erfolgreich sein Hungern war zeigt das neu angesetzte Regierungstreffen gestern, in dem Neuregelungen zur Entschmutzung und bezüglich des natürlichen Flusslaufs beschlossen werden sollten. Doch die Mühlen mahlen langsam in Indien. Die Sankat Mochan Foundation unterbreitete der Regierung schon 1997 Lösungsvor-
schläge, Abwasser Strom sparend und effektiver zu reinigen. Erst nach 15 Jahren beschloss die Regierung das sogenannte „Advanced Integrated Wastewater Pond System“ zu testen. Zudem sind die Mittel, die Ver-
schmutzung zu mindern, begrenzt. Zum einen ist der Glaube an die Heil-
wirkung eines Bades im Ganges zu stark, zum anderen ist es die Unver-
zichtbarkeit im Alltagsleben. Kleidung zu waschen ist dort am einfachs-
ten, denn fließend Wasser in den Häusern gibt es kaum. Auch eine Dusche oder ein Abwassersystem gibt es in weiten Teilen Indiens nicht.

Fotos/ Text: Evi Lemberger

Publikation: Mittelbayerische Zeitung

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