Wir hatten einfach nur Angst

November 2014 – März 2015, Halle (Saale) /Berlin / Merlin, Deutschland

Multimedialer Beitrag über das größte Kernkraftwerk der DDR bei Stendal im Norden von Magdeburg. Zusammenarbeit mit Louise Kotulla.

Multimedial contribution to the largest nuclear power plant of the GDR at Stendal in the north of Magdeburg. Collaboration with Louise Kotulla.

Kernkraft – sicher und friedlich? Das bezweifelte die Aktionsgruppe „Energiewende Stendal“. In den 80er Jahren entsteht das größte Kernkraftwerk der DDR bei Stendal im Norden von Magdeburg. Wenige Menschen stellen sich gegen den Bau und protestierten für ihre Sicherheit.

Der Atomausstieg begann für Deutschland nicht erst 2011 nach der Nuklearkatastrophe in Japan, sondern bereits zur Jahrtausendwende unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Osten Deutschlands sogar noch eher – und zwar mit dem Ende der DDR. Damals wurden alle Kraftwerke abgeschaltet und die Baustellen aufgegeben, so auch die größte Baustelle der DDR bei Stendal. Dazu trugen die Proteste einer kleinen Gruppe bei, die sich lange vor 1989 gegen Kernkraft stellte.

Vom Bau des Kernkraftwerks Stendal wusste jeder in der DDR, von den Protesten dagegen niemand. Das ist bis heute so. Die Audioslideshow erzählt nun die Geschichte des Protests gegen das gigantische Bauvorhaben. Wenige Idealisten lehnten sich auf, obwohl sie die Konsequenzen kannten. Aber sie kannten auch die Gefahren der Kernkraft und das wog schwerer. Das Wissen darum ist umso wichtiger, da heute der Widerstand der Kraftwerksbetreiber gegen die Abschaltung aller Werke bis 2022 wächst.

Protagonisten

Sebastian Pflugbeil 

Sebastian Pflugbeil, 67 Jahre alt, ist Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz. Der Medizinphysiker klärte schon zu DDR-Zeiten über die Gesundheitsgefahren auf, die von Kernkraft und Uranbergbau ausgehen. Dafür nutzte er auch die erweiterten Befugnisse durch seine Arbeit am Zentralinstitut für Herz- und Kreislaufforschung an der Akademie der Wissenschaften der DDR.

Der Bürgerrechtler wurde intensiv von der Staatssicherheit der DDR überwacht und unter dem Namen „Reaktor“ geführt. Nach dem Unfall in Tschernobyl arbeitete er, von der Kirche unterstützt, an einer Studie zu den Problemen der Kernenergiepolitik in der DDR. Kontakt zur Gruppe „Energiewende Stendal“ hatte er über Erika Drees, die der Motor der Bewegung war.

Der Mitbegründer des Neuen Forums war zur Zeit der Wende für wenige Monate Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Modrow. Damit hatte er Zugang zu streng geheimen Berichten über den Zustand der Kernkraftwerke in der DDR. Durch seine Aufarbeitung wurde das Ende der Kernkraft in der DDR möglich.

Sebastian Pflugbeil lebt in Berlin und klärt noch heute über die Gefahren der Kernkraft auf. Er reist immer wieder nach Tschernobyl und ist einer der wenigen, die das Innere der Beton-Schutzhülle betreten haben. Seit 2011 ist er verstärkt in Japan unterwegs um Vorträge zu halten. Er ist bestürzt, wie der Westen die Probleme der Kernkraft verharmlost.

 

Malte Fröhlich

Malte Fröhlich war aktives Mitglied bei der Aktionsgruppe „Friedenskreis Stendal“, die sich später in „Energiewende Stendal“ umbenannte.

Seine Mutter, ebenfalls Mitglied, brachte ihn 1983 zum Friedenskreis. In den Folgejahren war er aktiver Bestandteil und Mitinitiator von Protesten gegen den Bau des Kernkraftwerkes in Stendal und die Nutzung von Kernkraft. Während dieser Zeit wurde er im Durchschnitt fünf Mal pro Woche von der Stasi verhört.

Nach der Schließung des KKWs protestierte er weiter und  ist bis heute bei der Aktionsgruppe „OFFene HEIDe“ tätig. Er spricht sich mit friedlichen Demonstrationen gegen das Militärgelände in der Coblitz-Letzlinger Heide aus. Malte Fröhlich ist freiberuflicher Spielzeughersteller und lebt mit seiner Familie in Miltern, einem kleinen Dorf nahe Stendal.

 

Malte Fröhlich protestiert noch immer. Mit der Aktionsgruppe OFFENe HEIDe demonstriert er gegen den Militärstützpunkt in der Colbitz Letzlinger Heide. Er lebt mit seiner Familie in dem kleinen Dorf und Miltern, nahe Stendal und ist Selbständiger Spielzeughersteller.

 

Friedenskreis 

Der Friedenskreis Stendal entstand 1983 in Stendal. Aufgrund des Ausbaus der Atomraketen in Ost und West von Deutschland und den resultierenden Friedensgebeten in der Petrikirche entwickelte sich die Friedensbewegung. Im Durchschnitt protestieren rund 20 Mitglieder zuerst gegen die Atompolitik und ab Tschernobyl gegen das Kernkraftwerk in Stendal. Ausschlaggebend für die Schwerpunktverlagerung war die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und die Tatsache, dass seit 1973 das KKW 12km von Stendal entfernt gebaut wurde. So nannten sie nach 1986 den  Friedenskreis Stendal in Energiewende Stendal um. Führende Kraft war Erika Drees, die nach der Schließung des Atomkraftwerks im Rahmen der OFFEnen HEIDe protestierte.  Wichtiger Bestandteil ihrer Proteste: Der friedliche Protest.

Die Energiewende Stendal löste sich nach der Schließung des Kernkraftwerks Stendal 1991 auf.  Viele der Mitglieder protestieren noch heute im Rahmen der Aktionsgruppe OFFEne HEIDe gegen das Militaergelaende in der Colbitz- Letztlinger Heide.

KKW Stendal

Das Kernkraftwerk Stendal sollte das größte Kernkraftwerk der DDR werden und wurde im Norden des Bezirks Magdeburg, heute Sachsen-Anhalt, gebaut. Seit 1974 entstanden zwei Blöcke (Block A und Block B) mit jeweils 1000 Megawatt, geplant war die doppelte Leistung von vier mal 1000 Megawatt insgesamt. Mehr als 5000 Arbeiter waren auf der Baustelle beschäftigt. In Stendal wurde für sie ein ganzes Stadtviertel erbaut.

Durch Verzögerungen in der Planung, fehlende Arbeitskräfte und bauliche Mängel wurde der Fertigstellungstermin immer wieder verschoben. In den ersten Planungen war davon ausgegangen worden, dass das KKW 1981 ans Netz gehen kann. Das KKW Stendal wäre das dritte Kernkraftwerk der DDR gewesen, neben dem KKW Lubmin bei Greifswald und dem KKW Rheinsberg nördlich von Berlin. Zudem gab es Pläne für zwei weitere Standorte.

Der Bau kostete mehrere Milliarden Mark, bis durch die Wende der endgültige Baustopp im März 1991 erfolgte. Bis dahin waren weder Block A noch Block B fertig gestellt.

Nach der Wende spielte unter anderem Siemens mit dem Gedanken, das KKW fertig zu stellen und in Betrieb zu nehmen. Auch aufgrund des Protests der Bevölkerung kam es nicht dazu.

Auf dem ehemaligen Gelände des KKWs haben sich heute mehrere Firmen angesiedelt, darunter ein Biomassekraftwerk, ein Zellstoffwerk und ein Papierwerk. Die ehemaligen Verwaltungsgebäude des Kernkraftwerks stehen leer.

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