Interview mit Elena Vovkova über die Inhaftierung von Pussy Riots. Veröffentlichung auf jetzt.de
Interview with Elena Vovkova about the imprisoning of Pussy Riots. Publication: jetzt.de
Sie sitzen seit Februar im Gefängnis, weil sie einen Putin-kritischen Song in einer Kathedrale sangen. Elena kämpft für die in Moskau inhaftierten Mitglieder der Band „Pussy Riot“.
evi-lemberger
Pussy Riot nennt sich eine 2011 gegründete Punk-Performancegruppe, die gegen die Regierung Putin aufbegehrt. Als sie Anfang 2012 den Song „Mother of God, Cast Putin Out!““ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale performte, wurden drei Mitglieder verhaftet. Vorwurf: Hooliganismus und Blasphemie. Sowohl das unüblich schnelle Verfahren als auch die Haftbedingungen werden von Amnesty International kritisiert, viele Unterstützer der Gruppe versuchen gegen die Verurteilung zu protestieren. Eine davon ist Elena Vovkova. Die ehemalige Universitätsdozentin hat im vergangenen Jahr ihre Laufbahn beendet, da sie den staatlichen Lehrvorschriften nicht mehr Folge leisten wollte.
jetzt.de: Elena, wie sind Sie auf Pussy Riot aufmerksam geworden?
Elena Vovkova: Ich habe ein Video gesehen, in dem die Mädchen auf dem Dach des Gefängnisses, in dem Protest-Führer inhaftiert waren, Musik gemacht haben. Sie beeindruckten mich durch ihren Mut, ihre Energie und ihr fantastisches Äußeres. Eine Mischung aus Kriegern und Engeln, wie eine himmlische Armee.
Sind Sie Mitglied der Gruppe?
Ich bin kein Teil von Pussy Riot. Ich schätze sie für das, was sie machen, und tue alles, was in meiner Macht steht, um sie zu verteidigen. Ich schreibe Artikel im Internet, und habe, ebenfalls online, die Pussy Riot School gegründet, in der ich Essays über ihre Aktionen veröffentliche. Außerdem biete ich Seminare über die Gruppe an, protestiere vor dem Gerichtsgebäude und spreche in Radio- und Fernsehsendungen.
Kennen Sie Mitglieder von Pussy Riot persönlich?
Mit den Inhaftierten bin ich über deren Verteidiger in Kontakt und unterstütze sie, indem ich ihnen Briefe schreibe. Ich bin Mitglied des Occupy-Court-Lagers, das sich vor dem Gerichtsgebäude befindet, und ich vermute, dass einige Mädchen dort auch zu Pussy Riot gehören.
Was will die Gruppe mit ihren Aktionen erreichen?
Demokratie, faire Wahlen, Putins Rücktritt, Freiheit, die Trennung von Staat und Kirche, Unabhängigkeit der Frau, Gleichstellung Homosexueller. Der Feminismus in Russland steckt noch in den Anfängen und auch einige Feministen stimmen nicht mit Pussy Riot überein. Sie finden sie zu aggressiv. Ich denke, dass ihr Stil eine Antwort auf die Gewalt der neuen Diktatur ist.
Warum reagiert die russische Regierung so heftig auf die Gruppe?
Putin glaubt wohl, dass er von Gott gesandt wurde und eine Mission hat. Aus der unabhängigen Kirche wurde eine Staatskirche, das hat nur noch wenig mit dem christlichen Glauben zu tun. Die Mädchen machen darauf aufmerksam.
Wie denkt die russische Bevölkerung über die Gruppe?
Der durchschnittliche Russe stimmt nicht mit den Taten der Pussy Riots überein, findet es aber in Ordnung, wenn sie aus dem Gefängnis entlassen würden. Die Kirchenfundamentalisten sähen sie am liebsten für immer im Gefängnis. Dann gibt es wenige, die sie als Talente sehen. Intellektuelle, Künstler und Demonstranten und unzählige Menschen unterstützen uns online.
Am 2. Juli spielten „Faith No More“ ein Konzert in Moskau. Dabei durften Mitglieder von „Pussy Riot“ auf ihre inhaftierten Kolleginnen aufmerksam machen.
Wie haben Sie auf die Verhaftung der drei Mitglieder reagiert?
Meine Freunde und ich haben vor dem Gerichtsgebäude protestiert. Ich habe einen runden Tisch organisiert, um über Pussy Riot zu sprechen. Viele bezeichnen sie als Rowdys und Huren und ich wollte zeigen, dass sie intellektuell orientiert sind.
Wer sind die drei Frauen, die im Gefängnis sitzen?
Nadezhda Tolokonnikova hätte in diesem Jahr eigentlich an der Universität ihren Abschluss gemacht. Sie studiert Philosophie und ist einer der besten Studenten ihres Jahrgangs. Sie und ihr Mann Petr Verzilov waren Mitglieder von Voina, einer Straßenkunstgruppe, die radikale Proteste initiiert hat. Maria Alekhina ist Dichterin, ihr Gedichtband ist kürzlich veröffentlicht worden. Ekaterina ist Fotografin.
Was wissen Sie über die Haftbedingungen?
Die Bedingungen sind schrecklich. Die Zimmer sind zu warm mit viel zu vielen Menschen. Als die Mädchen in den Hungerstreik getreten sind, haben sie Einzelzimmer bekommen. Nadezdha hat gesundheitliche Probleme und hat die benötigten Medikamente nicht bekommen. Während der ganzen Zeit hatten sie keine Möglichkeit, ihre Familien und ihre Kinder zu sehen.
Wie ist der Status quo?
Die Anklage lautet Blasphemie und Hooliganismus. Das könnte sieben Jahren Haft einbringen. Sie haben drei Verteidiger. Der entscheidende Gerichtstermin wurde verschoben und sie dürfen wegen Fluchtgefahr das Gefängnis nicht verlassen. Und das, obwohl 53 Menschen, inklusive mir, unterschrieben haben, dass wir für sie bürgen. Nadezhda und Maria haben ihren Hungerstreik beendet, da sie krank wurden. Ekatarina isst noch immer nichts.
Wieso wurde der Prozess verschoben?
Ich denke, mit einem Prozess im Sommer versucht man, alles unter den Tisch zu kehren, denn im Sommer sind viele Russen unterwegs. Ich fürchte, sie werden verurteilt, ohne dass sie Beachtung bekommen und in ein abgelegenes Gefängnis gebracht. Das war schon bei Chodorkowski so.
Was machen Sie aktuell, um der Gruppe zu helfen?
Ich schreibe Briefe, zum Beispiel an den Erzbischof von York, der politischer Gefangener war, oder an das Keston Institut. Gemeinsam mit anderen organisiere ich Proteste und es gibt eine Liste, auf der Schauspieler, Musiker und Künstler unterschrieben haben. Wir haben sie gebeten, Bilder von Pussy Riot auf ihren Konzerten zu zeigen und wir organisieren PussyRiot-Festivals. Was fehlt ist Unterstützung aus dem Westen, die wir dringend brauchen.
Sie sind eine Mischung aus Kriegern und Engeln
2012, Deutschland und Russland
Interview mit Elena Vovkova über die Inhaftierung von Pussy Riots. Veröffentlichung auf jetzt.de
Pussy Riot nennt sich eine 2011 gegründete Punk-Performancegruppe, die gegen die Regierung Putin aufbegehrt. Als sie Anfang 2012 den Song „Mother of God, Cast Putin Out!““ in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale performte, wurden drei Mitglieder verhaftet. Vorwurf: Hooliganismus und Blasphemie. Sowohl das unüblich schnelle Verfahren als auch die Haftbedingungen werden von Amnesty International kritisiert, viele Unterstützer der Gruppe versuchen gegen die Verurteilung zu protestieren. Eine davon ist Elena Vovkova. Die ehemalige Universitätsdozentin hat im vergangenen Jahr ihre Laufbahn beendet, da sie den staatlichen Lehrvorschriften nicht mehr Folge leisten wollte.
jetzt.de: Elena, wie sind Sie auf Pussy Riot aufmerksam geworden?
Elena Vovkova: Ich habe ein Video gesehen, in dem die Mädchen auf dem Dach des Gefängnisses, in dem Protest-Führer inhaftiert waren, Musik gemacht haben. Sie beeindruckten mich durch ihren Mut, ihre Energie und ihr fantastisches Äußeres. Eine Mischung aus Kriegern und Engeln, wie eine himmlische Armee.
Sind Sie Mitglied der Gruppe?
Ich bin kein Teil von Pussy Riot. Ich schätze sie für das, was sie machen, und tue alles, was in meiner Macht steht, um sie zu verteidigen. Ich schreibe Artikel im Internet, und habe, ebenfalls online, die Pussy Riot School gegründet, in der ich Essays über ihre Aktionen veröffentliche. Außerdem biete ich Seminare über die Gruppe an, protestiere vor dem Gerichtsgebäude und spreche in Radio- und Fernsehsendungen.
Kennen Sie Mitglieder von Pussy Riot persönlich?
Mit den Inhaftierten bin ich über deren Verteidiger in Kontakt und unterstütze sie, indem ich ihnen Briefe schreibe. Ich bin Mitglied des Occupy-Court-Lagers, das sich vor dem Gerichtsgebäude befindet, und ich vermute, dass einige Mädchen dort auch zu Pussy Riot gehören.
Was will die Gruppe mit ihren Aktionen erreichen?
Demokratie, faire Wahlen, Putins Rücktritt, Freiheit, die Trennung von Staat und Kirche, Unabhängigkeit der Frau, Gleichstellung Homosexueller. Der Feminismus in Russland steckt noch in den Anfängen und auch einige Feministen stimmen nicht mit Pussy Riot überein. Sie finden sie zu aggressiv. Ich denke, dass ihr Stil eine Antwort auf die Gewalt der neuen Diktatur ist.
Warum reagiert die russische Regierung so heftig auf die Gruppe?
Putin glaubt wohl, dass er von Gott gesandt wurde und eine Mission hat. Aus der unabhängigen Kirche wurde eine Staatskirche, das hat nur noch wenig mit dem christlichen Glauben zu tun. Die Mädchen machen darauf aufmerksam.
Wie denkt die russische Bevölkerung über die Gruppe?
Der durchschnittliche Russe stimmt nicht mit den Taten der Pussy Riots überein, findet es aber in Ordnung, wenn sie aus dem Gefängnis entlassen würden. Die Kirchenfundamentalisten sähen sie am liebsten für immer im Gefängnis. Dann gibt es wenige, die sie als Talente sehen. Intellektuelle, Künstler und Demonstranten und unzählige Menschen unterstützen uns online.
Am 2. Juli spielten „Faith No More“ ein Konzert in Moskau. Dabei durften Mitglieder von „Pussy Riot“ auf ihre inhaftierten Kolleginnen aufmerksam machen.
Wie haben Sie auf die Verhaftung der drei Mitglieder reagiert?
Meine Freunde und ich haben vor dem Gerichtsgebäude protestiert. Ich habe einen runden Tisch organisiert, um über Pussy Riot zu sprechen. Viele bezeichnen sie als Rowdys und Huren und ich wollte zeigen, dass sie intellektuell orientiert sind.
Wer sind die drei Frauen, die im Gefängnis sitzen?
Nadezhda Tolokonnikova hätte in diesem Jahr eigentlich an der Universität ihren Abschluss gemacht. Sie studiert Philosophie und ist einer der besten Studenten ihres Jahrgangs. Sie und ihr Mann Petr Verzilov waren Mitglieder von Voina, einer Straßenkunstgruppe, die radikale Proteste initiiert hat. Maria Alekhina ist Dichterin, ihr Gedichtband ist kürzlich veröffentlicht worden. Ekaterina ist Fotografin.
Was wissen Sie über die Haftbedingungen?
Die Bedingungen sind schrecklich. Die Zimmer sind zu warm mit viel zu vielen Menschen. Als die Mädchen in den Hungerstreik getreten sind, haben sie Einzelzimmer bekommen. Nadezdha hat gesundheitliche Probleme und hat die benötigten Medikamente nicht bekommen. Während der ganzen Zeit hatten sie keine Möglichkeit, ihre Familien und ihre Kinder zu sehen.
Wie ist der Status quo?
Die Anklage lautet Blasphemie und Hooliganismus. Das könnte sieben Jahren Haft einbringen. Sie haben drei Verteidiger. Der entscheidende Gerichtstermin wurde verschoben und sie dürfen wegen Fluchtgefahr das Gefängnis nicht verlassen. Und das, obwohl 53 Menschen, inklusive mir, unterschrieben haben, dass wir für sie bürgen. Nadezhda und Maria haben ihren Hungerstreik beendet, da sie krank wurden. Ekatarina isst noch immer nichts.
Wieso wurde der Prozess verschoben?
Ich denke, mit einem Prozess im Sommer versucht man, alles unter den Tisch zu kehren, denn im Sommer sind viele Russen unterwegs. Ich fürchte, sie werden verurteilt, ohne dass sie Beachtung bekommen und in ein abgelegenes Gefängnis gebracht. Das war schon bei Chodorkowski so.
Was machen Sie aktuell, um der Gruppe zu helfen?
Ich schreibe Briefe, zum Beispiel an den Erzbischof von York, der politischer Gefangener war, oder an das Keston Institut. Gemeinsam mit anderen organisiere ich Proteste und es gibt eine Liste, auf der Schauspieler, Musiker und Künstler unterschrieben haben. Wir haben sie gebeten, Bilder von Pussy Riot auf ihren Konzerten zu zeigen und wir organisieren PussyRiot-Festivals. Was fehlt ist Unterstützung aus dem Westen, die wir dringend brauchen.
Text: evi-lemberger – Foto: Reuters