Beitrag über den Ghostwriter Andrew Croft für das Magazin Päng.
Feature about the ghostwriter Andrew Croft for the magazine Päng.
Der Groschen fällt bei ihm 1988. Andrew Crofts, Mitte 30, freiberuflicher Journalist, zuständig für die Ressorts Reisen und Wirtschaft, interviewt den Unternehmensguru John Fenton für ein Businessmagazin. Fenton unterbreitet ihm ein Angebot: Crofts solle für ihn ein Buch schreiben – gut bezahlt, aber als Autor werde er nicht genannt. Crofts, der sich gerade eben finanziell über Wasser halten kann, willigt ein. Er kassiert das Geld – und sein Auftraggeber den Ruhm.
Heute ist Andrew Crofts der erfolgreichste Ghostwriter in Großbritannien. Rund 80 Bücher hat er verfasst. Darin taucht er in die unterschiedlichsten Leben ein: Er organisiert Konzerte für die Beatles und lebt als Obdachloser auf der Straße, er gewinnt Big Brother und landet unschuldig hinter Gittern, er schläft sich zu einen international erfolgreichen Kurtisane hoch und gründete ein Waisenhaus für Gorillas. Seine Kunden sind Stars und Sternchen, aber auch gewöhnliche Menschen, die Ungewöhnliches erlebt haben.
Mehr als ein Dutzend seiner Bücher sind in den Bestsellerlisten gelandet. Seinen Lesern dürfte Andrew Crofts jedoch größtenteils unbekannt sein, sein Name steht nur selten auf dem Cover, mit etwas Glück taucht er im Kleingedruckten auf, sein Autorenfoto nie. Grund genug, mit Andrew Crofts zu sprechen – dem Mann, dessen Bekanntheit daraus resultiert, dass er sehr erfolgreich im Hintergrund steht.
Sie vergleichen Ghostwriting mit Häuserbauen. Warum?
Die Arbeitsteilung ist ganz ähnlich. Wenn du ein Haus baust, brauchst dueinen Architekten, der die Idee hat, und einen Bauarbeiter, der das Haus baut. Auch beim Ghostwriting gibt es mehrere Personen, die beteiligt sind. Der Schreiber, also ich, und derjenige, der mir die Geschichte gibt.
Und welche Rolle übernehmen Sie?
Ich glaube, ich wäre der Bauarbeiter. (lacht) Mein Punkt ist: Weder der Name des Architekten noch der des Bauarbeiters stehen auf dem Haus. Oder auch im Kino: Normale Besucher sehen sich wohl kaum den kompletten Abspann an. Vielleicht schauen sie, wer der Regisseur ist, vielleicht warten sie noch auf die Schauspieler – aber dann verlieren sie das Interesse. Außerdem gibt es viele Leute, die unglaubliche Dinge tun und nirgendwo mit Namen erwähnt werden. Wie zum Beispiel mein Cousin, der baut ganze Zugsysteme unter der Erde, und außerhalb seines Fachkreises weiß keiner von dem, was er tut. Ich glaube, man verschwendet einfach viel zu viel Energie mit diesem Namensaspekt.
Sie meinen, dass diese Art von Popularität oft überschätzt wird?
Ja, so ungefähr. Es ist natürlich schön und praktisch, seinen Namen auf dem Cover zu sehen. Aber ich arbeite als Ghostwriter, weil ich in erster Linie an Menschen interessiert bin und Geschichten schreiben möchte, mit denen ich Geld verdienen kann.
Wollten Sie nie berühmt werden?
Wenn du etwa länger lebst, merkst du, wie vergänglich Berühmtsein ist. Wer heute noch berühmt ist, kann morgen schon vergessen sein. Als ich jünger war, liebte ich Peter Pan und Doktor Little. Und jetzt? Man weiß nie, was wirklich in unserem Bewusstsein bleibt.
Was fasziniert Sie am Ghostwriting?
Ich mag es, Menschen Geschichten zu erzählen. Auf jeder Dinner Party gibt es den Moment, an dem man erlebt, wie Menschen anfangen, jemandem zuzuhören, wenn sie plötzlich interessiert aussehen. Das mag ich: gute Geschichten erzählen.
Wie funktioniert Ghostwriting?
Zuerst suche ich nach einem Protagonisten. Manchmal kommen sie direkt zu mir, manchmal kommt ein Agent, der mir die Kurzversion der Geschichte erzählt. Wenn sie mir gefällt und die Bezahlung stimmt, befragte ich den Protagonisten. Er soll mir seine Geschichte selbst erzählen, von Anfang an und chronologisch, weil ich sicher gehen möchte, dass ich alle Informationen habe. Wenn es noch keinen Verlag für das Projekt gibt, schreibe ich erst ein Exposé, um einen Verleger zu finden. Ansonsten fange ich sofort an zu schreiben. Wenn das Interview und die Geschichte gut sind, brauche ich mir die Aufnahmen gar nicht mehr anzuhören und schreibe sofort los – meistens so um die 80.000 Wörter. Der erste Versuch wird dann dem Auftraggeber gezeigt und muss von ihm abgesegnet werden. Pro Buch brauche ich drei Monate. Zumeist arbeite ich an vier Büchern gleichzeitig, eines schreibe ich, eines editiere ich, für das nächste suche ich einen Verlag und für das vierte führe ich das Interview mit dem Protagonisten.
Was macht einen guten Ghostwriter aus?
Es gibt immer wieder gute Geschichten, die aber nicht unbedingt gut genug sind, um aufgeschrieben zu werden. Das zu erkennen ist eine wichtige Fähigkeit. Ein guter Ghostwriter erkennt sehr schnell die Struktur einer Geschichte, weiß, welche Aspekte relevant sind und wann jemand zu weit vom Thema abschweift. Wichtig ist auch, dass du die Stimme des Protagonisten übernimmst. Im besten Fall trifft sich dein Stil mit dem deines Gegenübers. Und du musst immer sehr ehrlich sein. Es gibt viele Ideen, aber nur wenige lassen sich verkaufen. Das zu sagen ist wichtig.
Ist es leicht zu bemerken, ob eine Geschichte gut ist?
Ich merke es heute viel schneller, als vor ein paar Jahren. Das liegt zum einen daran, dass ich damals alles annehmen musste, und zum anderen einfach keine Erfahrung hatte. Trotzdem muss ich zugeben: Manchmal liege ich auch heute noch falsch. Und manchmal ist das langweiligste Buch das erfolgreichste. Wer hätte ahnen können, dass Fifty Shades of Grey das erfolgreichste Buch aller Zeiten werden würde?
Was denken Sie, warum entstand solch ein Hype um das Buch?
Es ist eine Mischung aus vielem … Timing, Glück und gutes Marketing.
Gibt es Auftraggeber, die mit Ihrer Arbeit unzufrieden sind?
Ein- oder zweimal hat es das gegeben. Einmal engagierte mich der Innenarchitekt der Royal Family. Nach der ersten Version sagte er: „Oh my God. You let me look like a screaming queen!“ Die Wahrheit ist: Er war eine schreiende Königin. In so einer Situation sage ich nur: „Schau mal, hier hast du einen Stift. Wenn du willst, kannst du alles ändern.“ Normalerweise hilft das, um die Menschen zu beruhigen. Bei ihm klappte es nicht, aber ich glaube, das liegt daran, dass er sich nicht zur Schau stellen wollte. Ein Buch ist wie ein Portrait; du bist auf einer Party und jemand macht von dir ein Foto. Zuerst denkst du dir: Lösch es bitte. Wenn du es aber aufhebst, wird es vielleicht zu deinem Lieblingsbild, weil du siehst, dass du genau so bist.
Sie hatten sehr oft mit Geschichten zu tun, die sehr tragisch sind. Fühlen Sie da mit?
Jemand sagte einmal, dass über meinem Herzen eine Eisschicht liegen müsse. Vielleicht stimmt das sogar, denn wenn ich an jeder Geschichte verzweifeln würde, dann könnte ich sie nicht aufschreiben.
Ihr erster erfolgreicher Roman trägt den Titel „Sold“ und ist die Lebensgeschichte einer Frau, die aus dem Jemen geflohen ist. Als Sie das Angebot annahmen, ahnten Sie da schon, dass das Buch viele Leser finden würde?
Nein, gar nicht. Zana Muhsen wollte das Buch schreiben, um ihrer Schwester Nadja aus dem Jemen zurückzuhelfen. Sie und ihre Familie kontaktierten mich über einen Bibliothekar, der ihnen meine Nummer gab. So kam ich nach Birmingham, ohne viel über sie zu wissen. Ich unterhielt mich mit ihr und war fasziniert. Zana und ihre Schwester, noch Jugendliche, waren in den Jemen verkauft und zwangsverheiratet worden, lebten dort unter erbärmlichen Bedingungen. Unter Einfluss der Medien war Zana die Flucht gelungen und kämpfte nun für die Befreiung ihrer Schwester. Ich erzählte die Geschichte meiner Frau und meinen Kindern und sie sagen „Wow, really!“ Wenn das passiert, dann ist eine Geschichte gut. Es war jedoch sehr schwer, für das Buch einen Verleger zu finden. Zana und ich erhielten für unsere Arbeit je 3.500 Pfund, was sehr wenig war. Nach ein paar Jahren bekamen wir Angebote von anderen Verlegern in anderen Ländern, die uns mehr als 20.000 oder 30.000 Pfund anboten. Da war klar, dass die Geschichte Gehör finden würde.
2005 hatten Sie vier Bücher gleichzeitig in der Bestsellerliste. Was haben Sie empfunden?
Ich war überrascht. Nach einer Weile wurde ich obsessiv, beobachtete dauernd die Bestsellerlisten, und war dann ernüchtert, als ich feststellte, dass nicht jedes Buch ein Volltreffer ist. In den letzten 40 Jahren landete ich zehn Besteller, ich hatte also alle vier Jahre ein Buch in den Bestsellerlisten. Das bedeutet: Ich muss 16 Bücher schreiben und eines davon wird dann in den Bestsellerlisten erscheinen. Aber ich kann nie voraussagen, welches es wird. Deshalb muss ich alle 16 Bücher schreiben und kann den Weg nicht abkürzen.
Wie gehen Sie mit dem Erfolg um?
Er schmeichelt meinem Ego. Und die Verleger sind höflicher zu mir. Es ist sehr nett, jemanden anzurufen und zu wissen: Die wissen, wer ich bin. Das macht alles einfacher. Und ich kann ein höheres Honorar verlangen. Aber ich werde nie arrogant, weil ich immer weiß, dass es morgen vorbei sein kann. Manchmal denke ich, dass ich für die nächsten Monate abgesichert bin, aber dann kommt das Monatsende und ich habe keinen Auftrag und damit auch keine Einkünfte.
Was sagen andere Autoren zu Ihrer Arbeit als Ghostwriter?
Ich war einmal zu einer Radiodebatte eingeladen. Professor John Sutherland, der ebenfalls eingeladen war, sagte wortwörtlich, Ghostwriting sei ein beschämende Art und Weise, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber es sei zum Glück kein Kapitalverbrechen.
Wie stehen Sie dazu?
Ich denke, John Sutherland hat einen Vollzeitjob, er arbeitet an der Universität, für ihn ist Bücherschreiben eine nette Sache zwischendurch. Für mich nicht, ich muss damit mein Geld verdienen. Ich verstehe mich eher als jemanden aus alten Zeiten, in denen nicht jeder schreiben konnte und man jemanden brauchte, der für andere etwas niederschrieb.
Berühmtsein verändert. Denken Sie, dass Sie so sind wie Sie sind, weil Sie eben nicht auf der Bühne stehen?
Ja, vielleicht. Ich kann mich hinter einem anderen Namen verstecken. Falls die Leser das Buch nicht mögen, trifft es mich nicht persönlich. Außerdem kann ich mich auf meine Arbeit konzentrieren, weil ich mich nicht selbst vermarkten muss.
So ganz stimmt es nun nicht, dass Sie immer im Hintergrund stehen. Sie veröffentlichen einige Romane auch unter ihrem eigenen Namen. Warum?
Mit meinem ersten Buch „Maize’s Amazing Maids“ wollte ich beweisen, dass ein Ghostwriter eine prima Romanfigur abgibt, da er wie ein Detektiv Fragen stellt und immer dorthin kommt, wo etwas Interessantes passiert. Das andere entstand aufgrund meiner Tochter, die zu der Zeit kurz davor war, ihre Schauspielerschule zu beenden. Ich dachte, ich könnte ihr helfen, wenn ich ein Buch schreibe, in dem sie die Hauptrolle übernimmt. Ich beendete das Buch, fand einen Verleger, wir machten ein kleines Video und veröffentlichten es auf YouTube. Sie bekam ein paar Aufträge dadurch. Das Buch verkaufte sich eher mittelprächtig, Geld habe ich dadurch nicht verdient.
Schreiben Sie lieber die Geschichten anderer oder ihre eigenen?
Ich liebe es, immer neue Menschen und Perspektiven kennenzulernen und davon zu erzählen. Dabei ist es egal, ob es meine Geschichte oder die eines anderen ist.
Gibt es einen Menschen, dessen Geschichte Sie gerne noch aufschreiben möchten?
Ich habe kein Lieblingsthema, über das ich einmal schreiben möchte. Das Besondere an meinem Beruf ist, dass ich nie weiß, wer mich als Nächstes anruft oder über was ich schreiben werde. Ich denke, berühmte Personen wie Keira Knightley haben weniger Interessantes zu erzählen, weil sie die letzten zehn Jahre nichts als die eine Sache machte.
Bedauern Sie es manchmal, dass Sie nicht berühmt sind?
Hm, vielleicht bin ich auch nicht ganz ehrlich. Denn natürlich bekomme ich mein Stückchen Ruhm ab – schließlich sitzen wir hier wegen meines Jobs. Rob Harrys hat meinen Namen in seinem Buch „Ghost“ erwähnt, und ein Dokumentarfilmteam der Universität für Kreative Künste war hier. Insofern bin ich eben doch berühmt. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich als Autor so bekannt wäre, wie ich es als Ghostwriter bin.
Who the f… is Andrew Crofts
Januar 2013, Horsham, Grossbritanien
Beitrag über den Ghostwriter Andrew Croft für das Magazin Päng.
Feature about the ghostwriter Andrew Croft for the magazine Päng.
Der Groschen fällt bei ihm 1988. Andrew Crofts, Mitte 30, freiberuflicher Journalist, zuständig für die Ressorts Reisen und Wirtschaft, interviewt den Unternehmensguru John Fenton für ein Businessmagazin. Fenton unterbreitet ihm ein Angebot: Crofts solle für ihn ein Buch schreiben – gut bezahlt, aber als Autor werde er nicht genannt. Crofts, der sich gerade eben finanziell über Wasser halten kann, willigt ein. Er kassiert das Geld – und sein Auftraggeber den Ruhm.
Heute ist Andrew Crofts der erfolgreichste Ghostwriter in Großbritannien. Rund 80 Bücher hat er verfasst. Darin taucht er in die unterschiedlichsten Leben ein: Er organisiert Konzerte für die Beatles und lebt als Obdachloser auf der Straße, er gewinnt Big Brother und landet unschuldig hinter Gittern, er schläft sich zu einen international erfolgreichen Kurtisane hoch und gründete ein Waisenhaus für Gorillas. Seine Kunden sind Stars und Sternchen, aber auch gewöhnliche Menschen, die Ungewöhnliches erlebt haben.
Mehr als ein Dutzend seiner Bücher sind in den Bestsellerlisten gelandet. Seinen Lesern dürfte Andrew Crofts jedoch größtenteils unbekannt sein, sein Name steht nur selten auf dem Cover, mit etwas Glück taucht er im Kleingedruckten auf, sein Autorenfoto nie. Grund genug, mit Andrew Crofts zu sprechen – dem Mann, dessen Bekanntheit daraus resultiert, dass er sehr erfolgreich im Hintergrund steht.
Sie vergleichen Ghostwriting mit Häuserbauen. Warum?
Die Arbeitsteilung ist ganz ähnlich. Wenn du ein Haus baust, brauchst dueinen Architekten, der die Idee hat, und einen Bauarbeiter, der das Haus baut. Auch beim Ghostwriting gibt es mehrere Personen, die beteiligt sind. Der Schreiber, also ich, und derjenige, der mir die Geschichte gibt.
Und welche Rolle übernehmen Sie?
Ich glaube, ich wäre der Bauarbeiter. (lacht) Mein Punkt ist: Weder der Name des Architekten noch der des Bauarbeiters stehen auf dem Haus. Oder auch im Kino: Normale Besucher sehen sich wohl kaum den kompletten Abspann an. Vielleicht schauen sie, wer der Regisseur ist, vielleicht warten sie noch auf die Schauspieler – aber dann verlieren sie das Interesse. Außerdem gibt es viele Leute, die unglaubliche Dinge tun und nirgendwo mit Namen erwähnt werden. Wie zum Beispiel mein Cousin, der baut ganze Zugsysteme unter der Erde, und außerhalb seines Fachkreises weiß keiner von dem, was er tut. Ich glaube, man verschwendet einfach viel zu viel Energie mit diesem Namensaspekt.
Sie meinen, dass diese Art von Popularität oft überschätzt wird?
Ja, so ungefähr. Es ist natürlich schön und praktisch, seinen Namen auf dem Cover zu sehen. Aber ich arbeite als Ghostwriter, weil ich in erster Linie an Menschen interessiert bin und Geschichten schreiben möchte, mit denen ich Geld verdienen kann.
Wollten Sie nie berühmt werden?
Wenn du etwa länger lebst, merkst du, wie vergänglich Berühmtsein ist. Wer heute noch berühmt ist, kann morgen schon vergessen sein. Als ich jünger war, liebte ich Peter Pan und Doktor Little. Und jetzt? Man weiß nie, was wirklich in unserem Bewusstsein bleibt.
Was fasziniert Sie am Ghostwriting?
Ich mag es, Menschen Geschichten zu erzählen. Auf jeder Dinner Party gibt es den Moment, an dem man erlebt, wie Menschen anfangen, jemandem zuzuhören, wenn sie plötzlich interessiert aussehen. Das mag ich: gute Geschichten erzählen.
Wie funktioniert Ghostwriting?
Zuerst suche ich nach einem Protagonisten. Manchmal kommen sie direkt zu mir, manchmal kommt ein Agent, der mir die Kurzversion der Geschichte erzählt. Wenn sie mir gefällt und die Bezahlung stimmt, befragte ich den Protagonisten. Er soll mir seine Geschichte selbst erzählen, von Anfang an und chronologisch, weil ich sicher gehen möchte, dass ich alle Informationen habe. Wenn es noch keinen Verlag für das Projekt gibt, schreibe ich erst ein Exposé, um einen Verleger zu finden. Ansonsten fange ich sofort an zu schreiben. Wenn das Interview und die Geschichte gut sind, brauche ich mir die Aufnahmen gar nicht mehr anzuhören und schreibe sofort los – meistens so um die 80.000 Wörter. Der erste Versuch wird dann dem Auftraggeber gezeigt und muss von ihm abgesegnet werden. Pro Buch brauche ich drei Monate. Zumeist arbeite ich an vier Büchern gleichzeitig, eines schreibe ich, eines editiere ich, für das nächste suche ich einen Verlag und für das vierte führe ich das Interview mit dem Protagonisten.
Was macht einen guten Ghostwriter aus?
Es gibt immer wieder gute Geschichten, die aber nicht unbedingt gut genug sind, um aufgeschrieben zu werden. Das zu erkennen ist eine wichtige Fähigkeit. Ein guter Ghostwriter erkennt sehr schnell die Struktur einer Geschichte, weiß, welche Aspekte relevant sind und wann jemand zu weit vom Thema abschweift. Wichtig ist auch, dass du die Stimme des Protagonisten übernimmst. Im besten Fall trifft sich dein Stil mit dem deines Gegenübers. Und du musst immer sehr ehrlich sein. Es gibt viele Ideen, aber nur wenige lassen sich verkaufen. Das zu sagen ist wichtig.
Ist es leicht zu bemerken, ob eine Geschichte gut ist?
Ich merke es heute viel schneller, als vor ein paar Jahren. Das liegt zum einen daran, dass ich damals alles annehmen musste, und zum anderen einfach keine Erfahrung hatte. Trotzdem muss ich zugeben: Manchmal liege ich auch heute noch falsch. Und manchmal ist das langweiligste Buch das erfolgreichste. Wer hätte ahnen können, dass Fifty Shades of Grey das erfolgreichste Buch aller Zeiten werden würde?
Was denken Sie, warum entstand solch ein Hype um das Buch?
Es ist eine Mischung aus vielem … Timing, Glück und gutes Marketing.
Gibt es Auftraggeber, die mit Ihrer Arbeit unzufrieden sind?
Ein- oder zweimal hat es das gegeben. Einmal engagierte mich der Innenarchitekt der Royal Family. Nach der ersten Version sagte er: „Oh my God. You let me look like a screaming queen!“ Die Wahrheit ist: Er war eine schreiende Königin. In so einer Situation sage ich nur: „Schau mal, hier hast du einen Stift. Wenn du willst, kannst du alles ändern.“ Normalerweise hilft das, um die Menschen zu beruhigen. Bei ihm klappte es nicht, aber ich glaube, das liegt daran, dass er sich nicht zur Schau stellen wollte. Ein Buch ist wie ein Portrait; du bist auf einer Party und jemand macht von dir ein Foto. Zuerst denkst du dir: Lösch es bitte. Wenn du es aber aufhebst, wird es vielleicht zu deinem Lieblingsbild, weil du siehst, dass du genau so bist.
Sie hatten sehr oft mit Geschichten zu tun, die sehr tragisch sind. Fühlen Sie da mit?
Jemand sagte einmal, dass über meinem Herzen eine Eisschicht liegen müsse. Vielleicht stimmt das sogar, denn wenn ich an jeder Geschichte verzweifeln würde, dann könnte ich sie nicht aufschreiben.
Ihr erster erfolgreicher Roman trägt den Titel „Sold“ und ist die Lebensgeschichte einer Frau, die aus dem Jemen geflohen ist. Als Sie das Angebot annahmen, ahnten Sie da schon, dass das Buch viele Leser finden würde?
Nein, gar nicht. Zana Muhsen wollte das Buch schreiben, um ihrer Schwester Nadja aus dem Jemen zurückzuhelfen. Sie und ihre Familie kontaktierten mich über einen Bibliothekar, der ihnen meine Nummer gab. So kam ich nach Birmingham, ohne viel über sie zu wissen. Ich unterhielt mich mit ihr und war fasziniert. Zana und ihre Schwester, noch Jugendliche, waren in den Jemen verkauft und zwangsverheiratet worden, lebten dort unter erbärmlichen Bedingungen. Unter Einfluss der Medien war Zana die Flucht gelungen und kämpfte nun für die Befreiung ihrer Schwester. Ich erzählte die Geschichte meiner Frau und meinen Kindern und sie sagen „Wow, really!“ Wenn das passiert, dann ist eine Geschichte gut. Es war jedoch sehr schwer, für das Buch einen Verleger zu finden. Zana und ich erhielten für unsere Arbeit je 3.500 Pfund, was sehr wenig war. Nach ein paar Jahren bekamen wir Angebote von anderen Verlegern in anderen Ländern, die uns mehr als 20.000 oder 30.000 Pfund anboten. Da war klar, dass die Geschichte Gehör finden würde.
2005 hatten Sie vier Bücher gleichzeitig in der Bestsellerliste. Was haben Sie empfunden?
Ich war überrascht. Nach einer Weile wurde ich obsessiv, beobachtete dauernd die Bestsellerlisten, und war dann ernüchtert, als ich feststellte, dass nicht jedes Buch ein Volltreffer ist. In den letzten 40 Jahren landete ich zehn Besteller, ich hatte also alle vier Jahre ein Buch in den Bestsellerlisten. Das bedeutet: Ich muss 16 Bücher schreiben und eines davon wird dann in den Bestsellerlisten erscheinen. Aber ich kann nie voraussagen, welches es wird. Deshalb muss ich alle 16 Bücher schreiben und kann den Weg nicht abkürzen.
Wie gehen Sie mit dem Erfolg um?
Er schmeichelt meinem Ego. Und die Verleger sind höflicher zu mir. Es ist sehr nett, jemanden anzurufen und zu wissen: Die wissen, wer ich bin. Das macht alles einfacher. Und ich kann ein höheres Honorar verlangen. Aber ich werde nie arrogant, weil ich immer weiß, dass es morgen vorbei sein kann. Manchmal denke ich, dass ich für die nächsten Monate abgesichert bin, aber dann kommt das Monatsende und ich habe keinen Auftrag und damit auch keine Einkünfte.
Was sagen andere Autoren zu Ihrer Arbeit als Ghostwriter?
Ich war einmal zu einer Radiodebatte eingeladen. Professor John Sutherland, der ebenfalls eingeladen war, sagte wortwörtlich, Ghostwriting sei ein beschämende Art und Weise, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber es sei zum Glück kein Kapitalverbrechen.
Wie stehen Sie dazu?
Ich denke, John Sutherland hat einen Vollzeitjob, er arbeitet an der Universität, für ihn ist Bücherschreiben eine nette Sache zwischendurch. Für mich nicht, ich muss damit mein Geld verdienen. Ich verstehe mich eher als jemanden aus alten Zeiten, in denen nicht jeder schreiben konnte und man jemanden brauchte, der für andere etwas niederschrieb.
Berühmtsein verändert. Denken Sie, dass Sie so sind wie Sie sind, weil Sie eben nicht auf der Bühne stehen?
Ja, vielleicht. Ich kann mich hinter einem anderen Namen verstecken. Falls die Leser das Buch nicht mögen, trifft es mich nicht persönlich. Außerdem kann ich mich auf meine Arbeit konzentrieren, weil ich mich nicht selbst vermarkten muss.
So ganz stimmt es nun nicht, dass Sie immer im Hintergrund stehen. Sie veröffentlichen einige Romane auch unter ihrem eigenen Namen. Warum?
Mit meinem ersten Buch „Maize’s Amazing Maids“ wollte ich beweisen, dass ein Ghostwriter eine prima Romanfigur abgibt, da er wie ein Detektiv Fragen stellt und immer dorthin kommt, wo etwas Interessantes passiert. Das andere entstand aufgrund meiner Tochter, die zu der Zeit kurz davor war, ihre Schauspielerschule zu beenden. Ich dachte, ich könnte ihr helfen, wenn ich ein Buch schreibe, in dem sie die Hauptrolle übernimmt. Ich beendete das Buch, fand einen Verleger, wir machten ein kleines Video und veröffentlichten es auf YouTube. Sie bekam ein paar Aufträge dadurch. Das Buch verkaufte sich eher mittelprächtig, Geld habe ich dadurch nicht verdient.
Schreiben Sie lieber die Geschichten anderer oder ihre eigenen?
Ich liebe es, immer neue Menschen und Perspektiven kennenzulernen und davon zu erzählen. Dabei ist es egal, ob es meine Geschichte oder die eines anderen ist.
Gibt es einen Menschen, dessen Geschichte Sie gerne noch aufschreiben möchten?
Ich habe kein Lieblingsthema, über das ich einmal schreiben möchte. Das Besondere an meinem Beruf ist, dass ich nie weiß, wer mich als Nächstes anruft oder über was ich schreiben werde. Ich denke, berühmte Personen wie Keira Knightley haben weniger Interessantes zu erzählen, weil sie die letzten zehn Jahre nichts als die eine Sache machte.
Bedauern Sie es manchmal, dass Sie nicht berühmt sind?
Hm, vielleicht bin ich auch nicht ganz ehrlich. Denn natürlich bekomme ich mein Stückchen Ruhm ab – schließlich sitzen wir hier wegen meines Jobs. Rob Harrys hat meinen Namen in seinem Buch „Ghost“ erwähnt, und ein Dokumentarfilmteam der Universität für Kreative Künste war hier. Insofern bin ich eben doch berühmt. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich als Autor so bekannt wäre, wie ich es als Ghostwriter bin.
Text: Evi Lemberger /Catharina Mühlhan
Fotos: Evi Lemberger
Publikation Päng!#5
Ghostwriter