Ein Magazinbeitrag über das Märchenschloss und ihren Gründer Fritz Schleyerbach. Publikation: Päng
A magazine feature about a fairytale castle and its founder Fritz Schleyerbach. Publication: Päng
Ein Mädchen, kaum älter als zehn Jahre, betrat das Märchenschloss mit den unzähligen Türmchen auf dem Dach. Sie verlor sich in den weitläufigen Räumen, bestaunte die Prinzessinnen in Kleidern aus glitzernden Perlen und gruselte sich beim Anblick des zähnefletschenden Gevatter Tod. Zwanzig Jahre später betrat sie das Schloss erneut mit dem nüchternen Blick einer Erwachsenen. Sie bemerkte, dass die Puppen aus Holzgerüsten bestanden und mit Nägeln auf dem Boden fixiert waren, dass der Froschkönig aus Pappmaché und grüner Aquarellfarbe gemacht war, und dass die Rosen von Schneeweißchen und Rosenrot aus Plastik waren. Dies ist die Geschichte des Schlosses.
Fritz Schleyerbach wohnt irgendwo im Nirgendwo, zwischen Burglengenfeld und Kallmünz in Ostbayern, auf einem vereinzelt in der Landschaft stehenden Hof. Das Haus ist ein Sammelsurium an Selbstgemachtem. Die Möbel sind selbst geschreinert, sein Bett, der Schrank, die Tische. In den Zimmern türmen sich getöpferte und bemalte Teller, Töpfe, Tassen und Skulpturen. Bunte Blumen, Szenen aus Sagen und persönliche Glückwünsche zieren Decken und Wände. „Ich mache so viele verschiedene Sachen, dass ich alles nur so ein bisschen kann. Genauso wie beim Märchenschloss.“ Seine Frau sitzt neben ihm, sieht in kritisch an, schüttelt den Kopf, ihr hellgraues Haar zu einem Dutt gesteckt. Nein, so könne man es nun auch nicht sehen. Er lacht, blinzelt durch seine großen Brillengläser hindurch, lässt sich nicht beirren, redet munter weiter. Er erzählt vom Märchenschloss in Lambach, im oberen Bayerischen Wald.
Das heutige Märchenschloss ist eine stattliche Villa im Lambach, die um die Jahrhundertwende gebaut wird und wohlhabenden Glashuettenherren gehört. In den 60er Jahren wird das Grundstück der Kirche überschrieben, das Haus bleibt jedoch unbewohnt und verfällt. Mitte der 80er Jahre heißt es schließlich: Die Villa wird verpachtet. Doch niemand will sie kaufen. Selbst das Bayerische Fernsehen berichtet über die Situation des alten Hauses, doch noch immer passiert nichts. Die einzigen, die sich für das Haus interessieren, sind Textilunternehmer Fritz Schleyerbach und seine Frau. Sie wissen schon seit geraumer Zeit vom geplanten Verkauf, kennen es vom Sehen, fahren daran vorbei, wenn sie Tischtücher ins Kolpingheim bringen. „Der Steuerberater meinte, wir sollten es lassen, denn die Sanierung würde uns ruinieren. Auch der Denkmalschutzpfleger meinte: Bitte, lassen Sie die Finger davon. Meine Kinder redeten nicht mehr mit mir. Nur meine brave Frau hielt zu mir. Und dann sagten wir: Wenn alle dagegen sind, machen wir es.“
Die Behörden werfen die Hände zusammen, als sie von Schleyerbachs Idee erfahren. Ein Märchenschloss will er daraus machen. „Um Gottes Willen. Das können sie nicht machen!“ Eine Schnapsidee sei es. Selbst zu seiner Frau laufen sie, bitten inständig, sie solle es ihm ausreden. Sie aber vertraut ihm. „Sie müssen mal einem Sturkopf wie ihm was aus den Kopf bringen“. Und ein Märchenschloss passe doch perfekt. Das Gebäude steht mitten auf einer Lichtung, neben einer kleinen Ansammlung an Häusern, verwunschen, fast märchengleich. „Und Märchen haben mir schon immer gefallen.“ Fritz Schleyerbach gibt nicht nach. 1987 beginnen die Restaurationsarbeiten. Doch schon bald zwickt es an allen Ecken und Enden. Der Streit um Architektenhilfe bricht aus, das Denkmalamt rät ihnen zu einem Dachdecker der einfache Dachdeckerarbeiten verpfuscht und für die Fenster fehlt es an Geld.
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Zwei Jahre dauert der Bau. Schleyerbach schläft auf der Baustelle, in der heutigen Brotzeitstube, und vergräbt sich jeden Tag in seinen Arbeiten. Er ist für die Inneneinrichtung zuständig. Er schreinert Stühle mit Märchenverzierungen und bemalt die Fliesen in den Toiletten mit feinem Pinselstrich. „Zuerst malte ich jede einzelne Fliese exakt an, bis ich merkte: Wenn ich so weitermache, werde ich erst in drei Jahren fertig werden. Dann fing ich an großflächiger zu malen.“ Nach der Gestaltung der Brotzeitstube kommen die Räume im Gutshaus dran. Rund zwanzig Zimmer hat er zur Verfügung und jedes Zimmer soll einem anderen Märchen gewidmet sein. Die Ideen kommen von alleine, aus der Situation heraus und abhängig von den gegebenen Umständen. „Der Zwergnase und das Aschenputtel kamen zum Beispiel in die Küche. Wegen der Öfen, die schon drinnen waren.“
Die einzelnen Bestandteile für die Szenen sucht Schleyerbach sich zusammen. Die Köpfe fertigt er aus Keramik, die Körper der Puppen baut er aus Holz und Draht. Die Kleider werden angezogen oder einfach nur an den Rücken genagelt. „Später hat mich eine Frau gefragt, ob ich ihr auch so ein Kleid schneidern könnte. Ich meinte nur ‚Natürlich könne ich das tun, aber dann müsse sie mir erlauben, ihr eine paar Nägel in den Rücken zu schlagen.“ Die unzähligen Damenschuhe in dem Märchen „Die zertanzten Schuhe“ und die Schnapsflaschen der Bremer Stadtmusikanten bekommt er von Nachbarn und Freunden. Die bronzefarbenen Backformen und die alten, bedruckten Dosen im Zimmer des Zwerg Nase kauft er einer Volkskunstsammlerin ab. Die Seidentücher im Zimmer zu „Tausend und eine Nacht“ sind Originalstoffe aus Indien, die er auf der Messe in Frankfurt findet. Die Jugendstil-Vorhänge im Zimmer von „Des Kaisers neue Kleider“ stammen von einer Wiener Firma, die die alten Stoffe neu produziert. Schleyerbach werkelt und bastelt alleine, helfen darf ihm niemand. Nur in Ausnahmemomenten: Sein Nachbar, der baut für ein Zimmer Köpfe, schöne, viel bessere als er es selbst hätte machen können.
Die Eröffnung ist im Jahre 1989. Alle sind eingeladen, der Landrat, der Administrator Schröder und der Weihbischof. Leichte weiße Tuellvorhänge bedecken die Eingänge zu den Zimmern. Die Gäste wissen nicht so recht, was sie erwartet, denn sehen durfte vorher niemand etwas. Doch selbst die, die vorher dagegen waren, sind nun erstaunt vom Mut und der Kreativität Schleyerbachs. In den folgenden Jahren kommen viele Leute. Aus Belgien reist sogar ein Kamerateam an. „Sie filmten“, erzählt Fritz Schleyerbach mit einem Schmunzeln, als freue er sich schon jetzt über den noch kommenden Witz, „den Bayerischen Wald. Und eben auch das Märchenschloss. Beim Zimmer ‚Des Kaisers neue Kleider’ steht doch der Kaiser nackig im Zimmer. Und dann meinten sie: Sie wollen den von vorne sehen. Und ich meinte, das Wichtigste könne man gar nicht sehen, weil ich gar nichts hingemacht habe und den nur so hingestellt hätte, dass man es im Spiegel gar nicht sehen könnte.’ Da haben sie schon gelacht.“
Am Sonntag fahren Fritz und seine Frau oft in das Schloss, in das dazu gehörige Brotzeitstüberl. Dort sind immer viele Leute, nicht nur um sich das Märchenschloss anzusehen, sondern um bei Kaffee und Kuchen zusammen zu sitzen. Fritz nimmt seine Ziehharmonika mit. Er macht Musik, singt für die Gäste. Ab und zu gibt ihm jemand Trinkgeld oder spendiert ihm ein Bier. „Meine Frau war in der Küche abspülen und irgendwann einmal ist der Notar in die Küche gekommen und hat gemeint: Was seid denn ihr für dumme Leute. Er spielt draußen wie ein Bettelmusikant und sie spült drinnen das Geschirr wie eine Dienstmagd.“
1990 übergeben die Schleyerbachs das Schloss einer ihrer drei Töchter. Die Jahre vergehen, weniger Touristen kommen in den Bayerischen Wald. Kinder bekommen Gameboys und lesen Harry Potter. Das Märchenschloss ist noch immer da, mit den Entertainmentparks der Neuzeit kann es nicht mithalten. Keine der Puppen bewegt sich, keine Musik ertönt aus Lautsprechern. Das Schloss ist ein historisches Denkmal, die Szenen sind Teil eines großen Ganzen. Ein Blick auf eine andere Welt. Für das Schloss gibt es kein Konzept, kein Branding. Nur die Liebe zur Sache. Und das ist etwas, was sich durch Schleyerbachs Leben wie ein roter Faden zieht.
Als Fritz 1948 aus dem Krieg zurückkehrt, hat er keine Ausbildung und beginnt auf dem Bauernhof seines Vaters zu arbeiten. Er verliebt sich in das Mädchen vom Faschingsball – doch sie ist katholisch und er evangelisch. Sein Vater ist gegen die Beziehung, doch Fritz setzt sich durch. Das Paar arbeitet 17 Jahre für seinen Vater, bis er den Hof übernehmen darf. Doch der Hof ist heruntergewirtschaftet und weit entfernt von den Bedürfnissen der gegenwärtigen Zeit. Auf der Suche nach neuen Einkünften, beginnt Fritz Ende der 60er Leinenstoffe zu bedrucken, mit Sonnenblumen, gelben und roten, für Gardinen. Zunächst werden die Schleyerbachs belächelt. Zehn Jahre später kommen 200 Busse pro Jahr. Die weibliche Kundschaft reißt ihnen die Stoffe aus der Hand. Mit dem Textilunternehmen verdienen die beiden so gut, dass sie beschließen etwas zurückgeben zu wollen, an die Gesellschaft. Eine ihrer Investitionen ist die Übernahme und Restaurierung des Gutshauses in Lambach: „Einen gefällten Baum kann man nachwachsen lassen. Ein altes Haus nicht“.
Fritz Schleyerbach bereut nicht, dass er das Haus nicht anderweitig genutzt hat. Die Zukunft des Hauses und dass das Märchenschloss zu wenig Geld abwirft, macht ihm keine Sorgen. Das Schloss ist ihm wichtig, er hängt dran, aber es ist eben auch nur eines seiner vielen Ideen, neben seinen Kinderbüchern, seinen Keramikarbeiten, seinen Leinentüchern mit Drucken. „Eben eines meiner Spinnereien“. Er schmunzelt. Ein Rat an die heutige Jugend, zum Schluss, bevor er sein Reich wieder verschließt? „Ich glaube, was wichtig ist: Viele überlegen, aber die meisten machen nichts draus. Manchmal muss man einfach was ausprobieren und sich trauen, auch wenn die Leute einen auslachen.“
Fritz Schleyerbach’s persönliches Märchenschloss
Januar 2013, Lambach
Ein Magazinbeitrag über das Märchenschloss und ihren Gründer Fritz Schleyerbach. Publikation: Päng
A magazine feature about a fairytale castle and its founder Fritz Schleyerbach. Publication: Päng
Ein Mädchen, kaum älter als zehn Jahre, betrat das Märchenschloss mit den unzähligen Türmchen auf dem Dach. Sie verlor sich in den weitläufigen Räumen, bestaunte die Prinzessinnen in Kleidern aus glitzernden Perlen und gruselte sich beim Anblick des zähnefletschenden Gevatter Tod. Zwanzig Jahre später betrat sie das Schloss erneut mit dem nüchternen Blick einer Erwachsenen. Sie bemerkte, dass die Puppen aus Holzgerüsten bestanden und mit Nägeln auf dem Boden fixiert waren, dass der Froschkönig aus Pappmaché und grüner Aquarellfarbe gemacht war, und dass die Rosen von Schneeweißchen und Rosenrot aus Plastik waren. Dies ist die Geschichte des Schlosses.
Fritz Schleyerbach wohnt irgendwo im Nirgendwo, zwischen Burglengenfeld und Kallmünz in Ostbayern, auf einem vereinzelt in der Landschaft stehenden Hof. Das Haus ist ein Sammelsurium an Selbstgemachtem. Die Möbel sind selbst geschreinert, sein Bett, der Schrank, die Tische. In den Zimmern türmen sich getöpferte und bemalte Teller, Töpfe, Tassen und Skulpturen. Bunte Blumen, Szenen aus Sagen und persönliche Glückwünsche zieren Decken und Wände. „Ich mache so viele verschiedene Sachen, dass ich alles nur so ein bisschen kann. Genauso wie beim Märchenschloss.“ Seine Frau sitzt neben ihm, sieht in kritisch an, schüttelt den Kopf, ihr hellgraues Haar zu einem Dutt gesteckt. Nein, so könne man es nun auch nicht sehen. Er lacht, blinzelt durch seine großen Brillengläser hindurch, lässt sich nicht beirren, redet munter weiter. Er erzählt vom Märchenschloss in Lambach, im oberen Bayerischen Wald.
Das heutige Märchenschloss ist eine stattliche Villa im Lambach, die um die Jahrhundertwende gebaut wird und wohlhabenden Glashuettenherren gehört. In den 60er Jahren wird das Grundstück der Kirche überschrieben, das Haus bleibt jedoch unbewohnt und verfällt. Mitte der 80er Jahre heißt es schließlich: Die Villa wird verpachtet. Doch niemand will sie kaufen. Selbst das Bayerische Fernsehen berichtet über die Situation des alten Hauses, doch noch immer passiert nichts. Die einzigen, die sich für das Haus interessieren, sind Textilunternehmer Fritz Schleyerbach und seine Frau. Sie wissen schon seit geraumer Zeit vom geplanten Verkauf, kennen es vom Sehen, fahren daran vorbei, wenn sie Tischtücher ins Kolpingheim bringen. „Der Steuerberater meinte, wir sollten es lassen, denn die Sanierung würde uns ruinieren. Auch der Denkmalschutzpfleger meinte: Bitte, lassen Sie die Finger davon. Meine Kinder redeten nicht mehr mit mir. Nur meine brave Frau hielt zu mir. Und dann sagten wir: Wenn alle dagegen sind, machen wir es.“
Die Behörden werfen die Hände zusammen, als sie von Schleyerbachs Idee erfahren. Ein Märchenschloss will er daraus machen. „Um Gottes Willen. Das können sie nicht machen!“ Eine Schnapsidee sei es. Selbst zu seiner Frau laufen sie, bitten inständig, sie solle es ihm ausreden. Sie aber vertraut ihm. „Sie müssen mal einem Sturkopf wie ihm was aus den Kopf bringen“. Und ein Märchenschloss passe doch perfekt. Das Gebäude steht mitten auf einer Lichtung, neben einer kleinen Ansammlung an Häusern, verwunschen, fast märchengleich. „Und Märchen haben mir schon immer gefallen.“ Fritz Schleyerbach gibt nicht nach. 1987 beginnen die Restaurationsarbeiten. Doch schon bald zwickt es an allen Ecken und Enden. Der Streit um Architektenhilfe bricht aus, das Denkmalamt rät ihnen zu einem Dachdecker der einfache Dachdeckerarbeiten verpfuscht und für die Fenster fehlt es an Geld.
Zwei Jahre dauert der Bau. Schleyerbach schläft auf der Baustelle, in der heutigen Brotzeitstube, und vergräbt sich jeden Tag in seinen Arbeiten. Er ist für die Inneneinrichtung zuständig. Er schreinert Stühle mit Märchenverzierungen und bemalt die Fliesen in den Toiletten mit feinem Pinselstrich. „Zuerst malte ich jede einzelne Fliese exakt an, bis ich merkte: Wenn ich so weitermache, werde ich erst in drei Jahren fertig werden. Dann fing ich an großflächiger zu malen.“ Nach der Gestaltung der Brotzeitstube kommen die Räume im Gutshaus dran. Rund zwanzig Zimmer hat er zur Verfügung und jedes Zimmer soll einem anderen Märchen gewidmet sein. Die Ideen kommen von alleine, aus der Situation heraus und abhängig von den gegebenen Umständen. „Der Zwergnase und das Aschenputtel kamen zum Beispiel in die Küche. Wegen der Öfen, die schon drinnen waren.“
Die einzelnen Bestandteile für die Szenen sucht Schleyerbach sich zusammen. Die Köpfe fertigt er aus Keramik, die Körper der Puppen baut er aus Holz und Draht. Die Kleider werden angezogen oder einfach nur an den Rücken genagelt. „Später hat mich eine Frau gefragt, ob ich ihr auch so ein Kleid schneidern könnte. Ich meinte nur ‚Natürlich könne ich das tun, aber dann müsse sie mir erlauben, ihr eine paar Nägel in den Rücken zu schlagen.“ Die unzähligen Damenschuhe in dem Märchen „Die zertanzten Schuhe“ und die Schnapsflaschen der Bremer Stadtmusikanten bekommt er von Nachbarn und Freunden. Die bronzefarbenen Backformen und die alten, bedruckten Dosen im Zimmer des Zwerg Nase kauft er einer Volkskunstsammlerin ab. Die Seidentücher im Zimmer zu „Tausend und eine Nacht“ sind Originalstoffe aus Indien, die er auf der Messe in Frankfurt findet. Die Jugendstil-Vorhänge im Zimmer von „Des Kaisers neue Kleider“ stammen von einer Wiener Firma, die die alten Stoffe neu produziert. Schleyerbach werkelt und bastelt alleine, helfen darf ihm niemand. Nur in Ausnahmemomenten: Sein Nachbar, der baut für ein Zimmer Köpfe, schöne, viel bessere als er es selbst hätte machen können.
Die Eröffnung ist im Jahre 1989. Alle sind eingeladen, der Landrat, der Administrator Schröder und der Weihbischof. Leichte weiße Tuellvorhänge bedecken die Eingänge zu den Zimmern. Die Gäste wissen nicht so recht, was sie erwartet, denn sehen durfte vorher niemand etwas. Doch selbst die, die vorher dagegen waren, sind nun erstaunt vom Mut und der Kreativität Schleyerbachs. In den folgenden Jahren kommen viele Leute. Aus Belgien reist sogar ein Kamerateam an. „Sie filmten“, erzählt Fritz Schleyerbach mit einem Schmunzeln, als freue er sich schon jetzt über den noch kommenden Witz, „den Bayerischen Wald. Und eben auch das Märchenschloss. Beim Zimmer ‚Des Kaisers neue Kleider’ steht doch der Kaiser nackig im Zimmer. Und dann meinten sie: Sie wollen den von vorne sehen. Und ich meinte, das Wichtigste könne man gar nicht sehen, weil ich gar nichts hingemacht habe und den nur so hingestellt hätte, dass man es im Spiegel gar nicht sehen könnte.’ Da haben sie schon gelacht.“
Am Sonntag fahren Fritz und seine Frau oft in das Schloss, in das dazu gehörige Brotzeitstüberl. Dort sind immer viele Leute, nicht nur um sich das Märchenschloss anzusehen, sondern um bei Kaffee und Kuchen zusammen zu sitzen. Fritz nimmt seine Ziehharmonika mit. Er macht Musik, singt für die Gäste. Ab und zu gibt ihm jemand Trinkgeld oder spendiert ihm ein Bier. „Meine Frau war in der Küche abspülen und irgendwann einmal ist der Notar in die Küche gekommen und hat gemeint: Was seid denn ihr für dumme Leute. Er spielt draußen wie ein Bettelmusikant und sie spült drinnen das Geschirr wie eine Dienstmagd.“
1990 übergeben die Schleyerbachs das Schloss einer ihrer drei Töchter. Die Jahre vergehen, weniger Touristen kommen in den Bayerischen Wald. Kinder bekommen Gameboys und lesen Harry Potter. Das Märchenschloss ist noch immer da, mit den Entertainmentparks der Neuzeit kann es nicht mithalten. Keine der Puppen bewegt sich, keine Musik ertönt aus Lautsprechern. Das Schloss ist ein historisches Denkmal, die Szenen sind Teil eines großen Ganzen. Ein Blick auf eine andere Welt. Für das Schloss gibt es kein Konzept, kein Branding. Nur die Liebe zur Sache. Und das ist etwas, was sich durch Schleyerbachs Leben wie ein roter Faden zieht.
Als Fritz 1948 aus dem Krieg zurückkehrt, hat er keine Ausbildung und beginnt auf dem Bauernhof seines Vaters zu arbeiten. Er verliebt sich in das Mädchen vom Faschingsball – doch sie ist katholisch und er evangelisch. Sein Vater ist gegen die Beziehung, doch Fritz setzt sich durch. Das Paar arbeitet 17 Jahre für seinen Vater, bis er den Hof übernehmen darf. Doch der Hof ist heruntergewirtschaftet und weit entfernt von den Bedürfnissen der gegenwärtigen Zeit. Auf der Suche nach neuen Einkünften, beginnt Fritz Ende der 60er Leinenstoffe zu bedrucken, mit Sonnenblumen, gelben und roten, für Gardinen. Zunächst werden die Schleyerbachs belächelt. Zehn Jahre später kommen 200 Busse pro Jahr. Die weibliche Kundschaft reißt ihnen die Stoffe aus der Hand. Mit dem Textilunternehmen verdienen die beiden so gut, dass sie beschließen etwas zurückgeben zu wollen, an die Gesellschaft. Eine ihrer Investitionen ist die Übernahme und Restaurierung des Gutshauses in Lambach: „Einen gefällten Baum kann man nachwachsen lassen. Ein altes Haus nicht“.
Fritz Schleyerbach bereut nicht, dass er das Haus nicht anderweitig genutzt hat. Die Zukunft des Hauses und dass das Märchenschloss zu wenig Geld abwirft, macht ihm keine Sorgen. Das Schloss ist ihm wichtig, er hängt dran, aber es ist eben auch nur eines seiner vielen Ideen, neben seinen Kinderbüchern, seinen Keramikarbeiten, seinen Leinentüchern mit Drucken. „Eben eines meiner Spinnereien“. Er schmunzelt. Ein Rat an die heutige Jugend, zum Schluss, bevor er sein Reich wieder verschließt? „Ich glaube, was wichtig ist: Viele überlegen, aber die meisten machen nichts draus. Manchmal muss man einfach was ausprobieren und sich trauen, auch wenn die Leute einen auslachen.“
Text: Evi Lemberger / Franziska Schramm
Fotos: Evi Lemberger
Publikation: Päng Januar 2013
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Ausstellung: Cordonhaus Cham 2014