Der verblasste Glanz einer Spielzeugfabrik

2012, Bad Kötzting, Deutschland

Beitrag über die Holzspielwaren Fabrik Bieber. Ein kommerzieller Fotoauftrag von einer Privatperson, der gekoppelt mit einem Interview, in der Publikation Kötztinger Umschau  erschien und Einzelbilder Teil einer größeren Ausstellung waren.

A Feature about the wood toy factory Bieber. A commercial photo assignment by a private person, which was also published in the newspaper Kötztinger Umschau and exhibited in a bigger exhibition.

Ab und zu ist das Ehepaar schon noch auf dem ehemaligen Wohnhaus dass an der Fabrikgelände in der Waldschmidtstrasse. Nicht wegen der Nostalgie, sondern weil die Tochter dort lebt. Aber wenn sie dann dort sind, denken Sie gerne zurück, wie es damals war, als morgens die Arbeiter zu Fuß oder mit dem Auto den Vorplatz der Fabrik vereinnahmten, der Lärm der Maschinen die Arbeitsräume erfüllten und sich LKWs mit Holzlieferungen und Spediteure aus aller Welt mit Abholungen abwechselten.

Manfred und Helga Wirth waren bis im Jahr 2000 Eigentümer des Holzspielwarenunternehmens Bieber. Die Fabrik wurde 1948 unter Helga Wirths Eltern, dem Ehepaar Bieber, in Koetzting gegründet und etablierte sich unter der Leitung von Friedrich und Helga Wirth zu einem der führenden Spielwarenlieferanten in Deutschland. Heute gibt es die Firma nicht mehr. Nur noch die Räume, ein paar Spielfiguren und die Erinnerungen bleiben.

Ein Interview mit dem Unternehmer Manfred Wirth über Vergangenheit, Veränderung und die Holzspielfiguren.

Wie war der Anfang Ihrer Firma?

Alles begann mit meinen Schwiegereltern. Die Eltern meiner Frau waren schon vorher in einem Betrieb in Tschechien, im ehemaligen Sudentenland beschäftigt. Nach dem Kriegsende machten sie sich selbständig und produzierte ähnliche Holzspielwaren. 1948 gründeten sie die Firma. Sie erwarben ein Grundstück in der Waldschmidtstrasse und kauften eine Baracke vom ehemaligen Reichsarbeitsdienst, die sie auf dem Grundstück aufstellten. 1954 kam ein Massivbau hinzu. Und dann hat sich die Fabrik vergrößert.

Ich war Maschinenbaukonstrukteur und in der Betriebsleitung in einem Kaltwalzwerkes in Nordrheinwestfalen tätig. 1969 bin ich  durch meine Ehefrau nach Kötzting gekommen. 1969 heirateten wir in Koetzting und ich blieb gleich hier. Ich hatte mir schon vorher den Betrieb angeschaut und war mir bewusst, dass ich den Betrieb übernehmen sollte. Meine Frau schlug es mir vor, da ihr Vater krank war. 1970 übernahmen wir den Betrieb.

f110022-2 f100043 f100032 f100011 f80032 f70043 f70042 f70012 f70011 f50042 f50041 f50032 f40033 f40032 f40023 f40021 f40013 f20022
<
>

Warum so früh?

Im Mai 70 hat der Schwiegervater den Betrieb an meine Frau überschrieben, da er merkte, dass seine Krankheit schlimmer wurde. Er hatte Krebs. Weihnachten 1970 ist er gestorben. Wir führten den Betrieb weiter. Ich war damals 29 und ich muss schon sagen ich wurde schon ins kalte Wasser geschmissen.

Wie kann man das mit 29 machen?

Wenn man das im Nachhinein überlegt, denkt man sich das auch. Wenn man jung ist, übergelegt man nicht soviel. Meine Frau war die Inhaberin. Die musste mit Allem haften. Löhne waren jeden Monat fällig, egal wie viel wir verkauften oder nicht. Da hatte man schon oft schlaflose Nächte.

Wie verlief die Entwicklung des Betriebs?

Als wir anfingen war der Bestand ziemlich klein. Nicht mal 12 bis 14 Angestellte arbeiteten bei uns. Als mich mein Schwiegervater den Kunden vorstellte meinten sie, sie würden viel mehr abnehmen, aber wegen der geringen Größe des Betriebs ging das nicht. Deswegen bauten wir um. Zwischen 1974 und 76 verdoppelten wir die Produktionsflaeche.

 War es schwierig die Firma zu etablieren?

Die ersten Jahre waren schon hart, wir mussten ja alle Kredite zurückzahlen. Und damals als wir umbauten waren keine guten Zeiten. Es sind viele Industrien zurückgegangen. Aber die Spielwaren Branche hielt sich immer gut. Es hat auch einen Einbruch gegeben, aber nie so schlimm. Das lag auch daran, weil wir keine große Konkurrenz hatten.

Was haben Sie in ihre Firma produziert?

Wir produzierten alles was mit Gesellschaftsspielen zu tun hat- Mühlesteine, Schachfiguren, andere Figuren für Brettspiele. Wir waren auf Gesellschaftsspielzubehör spezialisiert. Das Einzige was wir nicht produzierten waren am Anfang kleine Halma Figuren. Die kamen erst später dazu. Und Würfel. Wir wären nicht mitgekommen. Da gab es eine grosse Firma in Deutschland.

Sie waren führend in der Produktion von Holsspielzubehör- wie kommt das?

Es gab sonst wenige im Bereich der Holzteile fuer Gesellschaftsspiele. Es gab auch andere, die Plastikspielzubehör herstellten. Außerdem vermarkteten wir uns gut. Wir waren auf allen Messen, zeigten unsere Arbeiten. Auch arbeiteten wir zuverlässig und pünktlich. das spricht sich rum. Und Viele wollten unbedingt etwas aus Holz haben, weil es wertvoller war.

 Wie wurde entschieden was Sie produzieren? 

Unsere Kunden haben entschieden was wir produzieren. Die Firmen haben uns Zeichnung und Muster zugeschickt und wir musste exakt die Figuren nach deren Muster herzustellen. Wir waren eben Zulieferer. Wir haben nur große Firmen beliefert.

 Wohin und wen haben sie beliefert?

In Deutschland hatten wir fast alle grossen Spieleverlage beliefert. Ravensburger und Schmidt Spiele waren dabei. Im Ausland hatten wir auch Abnehmer wir zum Beispiel aus Frankreich, England, Österreich und Italien.

 Wie produziert man eine Spielfigur?                       

Wir kauften fertiges Schnittholz, Buche und Ahorn. 1800 Kubiqumeter im Jahr verarbeiteten wir. Dann wurden aus den Brettern kleine rechteckige Blöcke, sogenannte Kanteln, geschnitten. In speziellen Maschinen wurden aus den Holzstuecken Rundstäbe und Holzfiguren hergestellt. Dann wurden sie in einer großen Trommeln geschliffen und gefärbt, getrocknet und manchmal bekamen sie noch eine Prägung.

Die Werkzeuge und Maschinen entwickelten und bauten wir selber. Die laufen jetzt immer noch bei unserem Nachfolger.

Wie viele verschieden Figuren haben sie hergestellt?

Ich schätze ein paar hundert verschiedene Formen. Wir produzierten Spielfiguren für Spielemagazine und speziell für Spiele des jeweiligen Hersteller.  Wichtig war auch jedes Jahr das Spiel des Jahres, dann mussten wir in kurzer Zeit sehr viele Spielfiguren herstellen.

Gab es während ihrer Zeit Figuren die Unmöglich waren zu produzieren?

Nicht technisch unmöglich, aber es gab schon einige Artikel, die wir nicht produzierten. Das lag aber nicht an der Art, sondern an der Masse. Zu bedruckende Figuren rentieren sich erst ab 5000 Stück zu produzieren.

Spielen sie selber?

Wir spielen mit unseren Enkelkinder Brettspiele und Schach. Aber so sind wir keine Spieleinteressierte. Ich schaue mir immer noch gerne Spiele an, wenn ich irgendwo bin und sie zufälliger Weise sehe. Dann beurteile ich die Spiele auch gerne.

Haben sie ein Lieblingsspiel aus Ihrer Produktion?

Es gab einige Spiel, die ich sehr gerne habe. Zum Bespiel für ein französisches Unternehmen produzierten wir ein Spiel- Rhythmus Perlen- ein Steckspiel. Auf Holzstäben werden verschiedene bunte Perlen, Würfeln und Zylinder aufgesteckt. Das fand ich wunderschön, weil es wunderbar griffig ist für die Kinder. Und Sie lernen Farben und verschiedene Formen kennen.

Wie sah ein Tag in Ihrem Leben aus?

 Um halb 6 stand ich auf.  Um 7 fing die Arbeit an. Dann frühstückte ich. Zwischen 12 und halb 12 gab es Mittagspause. Dann wurde bis 5 Uhr Abend gearbeitet. Ich arbeite meistens bis 7 Uhr abends. Manchmal arbeiteten wir auch Samstag wenn viel los war. Und manchmal hatten wir eine Doppelschicht, weil wir soviel in kurzer Zeit produzieren mussten.

Wie viel Angestellte hatten Sie?

Insgesamt hatten  wir 40, manchmal 45 Mitarbeiter. Aber wir hatten auch Zulieferer. Zum Beispiel bekamen wir die Mikadostaebe von einem Unternehmen aus dem unteren bayerischen Wald, denn irgendwann schafften wir die Arbeit nicht mehr alleine.

Sie haben 35 Jahre den Betrieb geführt- welche technischen Erneuerungen machten sie durch?
Ich weiß noch, als ich in den Betrieb kam war noch eine Rechenmaschine im Büro. Die bekamen wir damals von einer Bank. Da musste man noch den Hebel runter ziehen. Dann kaufte ich die erste elektronische Rechenmaschine und meine Schwiegereltern sind fast in Ohnmacht gefallen. „140 DM- Was so viel hat das gekostet? Gotts willen!“ Das sagten sie. Und so hat sich das entwickelt und weil wir die Computer auf Leasing bekamen, hatten wir immer das neueste Model.  Am Anfang wurde das Geld auch noch in Lohntüten ausgezahlt. Als wir dann aufs bargeldlose Zahlen umstellten glauben die Angestellten gar nicht wie sie ihr Geld bekommen würden. Wir mussten zum Teil Konten für die Leute auf der Bank einrichten. 

Gab es Veränderung innerhalb der Produktion?

Über die Jahre wurde alles schnelllebiger. Früher hielten sich Spiele 5 und 6 Jahre. Später musste man jedes Jahr für neue Spiele produzieren. Es gab schon immer ewige Renner wie Mühle, Dame oder Schach, aber auch das ging zurück. Wichtiger dagegen wurden immer mehr ‚das Spiel des Jahres’. Wenn wir den Auftrag fuer die Produktion erhielten, mussten wir in kurzer Zeit grosse Menge produzieren, denn jedes Geschäft wollte das Spiel haben. Eine ganz amüsante Veränderung gab es bezüglich der Betriebsferien. Die Firma hatte immer Betriebsferien zwischen Weihnachten und Neujahr. Das waren 2 Wochen. Dann beschloss ich noch einmal nochmal 2 Wochen Betriebsferien anzulegen. An Pfingsten. In dieser Zeit waren so viele meiner Mitarbeiter beim Pfingstritt und Bierzelt involviert. Da machte es mehr Sinn die Firma für die Zeit ganz zu schließen. Das wussten auch unsere Kunden.

Warum haben sie die Firma verkauft?

Aus einer Vielzahl an Gründen. Wir verkauften den Betrieb im Jahr 2000, weil ich keinen Nachfolger hatte. Aber vor allem riet mir mein Arzt aus gesundheitlichen Gründen dazu. Wir verkauften die Fabrik dann an eine große Firma im Münchener Raum. Es hat ungefähr 1 bis 2 Jahren gedauert bis wir uns für die Aufgabe entschieden und das es komplett aufgegeben würde war nicht vorhergesehen.  Das tat schon weh.

Sie sind aus Nordreinwestfalen. Wie lebt man sich im Bayerischen Wald ein?

Ich hatte keine Schwierigkeiten mich einzuleben. Ich war jahrelanger im Vorstand des Tennisklubs. Das einzige Problem war am Anfang der Dialekt. Wir hatten eine Frau  Turnbauer. Die kam noch zu Fuß in die Arbeit. Über 1 Stunde ist sie jeden Tag gegangen. Abends fuhr ich sie meistens heim und dann sagte sie Sachen wie „ Mei, heut ist es wieder hei!“ oder „der Auswärts kommt“. Dass sie mit ‚hei’ glatt und dem ‚Auswärts’ Frühling meinte musste  mir erst übersetzt werden.

Text/Fotos: Evi Lemberger

Publikation: Kötztinger Umschau

CHA.BEHEI.S.5117422kl