Ongoing photography project about people in Evi Lemberger’s life, who she documented with her Polaroid camera. In a series for the magazine jetzt.de she contacted those people again.
Julian
Als ich das Bild gesehen habe konnte ich mich zuerst nicht erinnern! Ich war 23 (unglaublich, viel länger her als ich dachte . . . ) und es war einer meiner seltenen Besuche bei meinen Eltern. Ich war damals schon in der Schweiz an der Artistenschule und deswegen nur selten da. Im Januar bin ich auf einen Schlag diplomierter Zirkusartist, verheiratet und Vater. Seitdem trete ich mit meiner Jonglagenummer auf, gebe Kindern und Erwachsenen Kurse und trainiere weiter meine Technik. Seit Oktober 2008 habe ich mit zwei anderen Jongleuren eine Show, und ich bin dabei ein Netzwerk aus Kontakten zu spinnen um damit regelmäßig aufzutreten. Dieses Wochenende bin ich auf einem Kunstfestival im Westen Frankreichs und morgen trete ich auf. Tief drinnen spüre ich langsam ein bisschen Nervosität . . .
Seit Januar wohne ich nicht mehr an der Artistenschule in Genf, wo ich immerhin vier Jahre verbracht habe. Mein Haus ist der Wohnwagen, und es zieht regelmäßig mit mir um. Vor allem lerne ich Vater zu sein und einen kleinen Jungen zu begleiten, der jede Woche ganz anders ist, und jedes Mal versuche ich nicht zu vergessen wie er genau in dem Moment ist, und jedes Mal vergesse ich es doch.
Jetzt liege ich im Kofferraum meines Lieferwagens auf meinem Bett und versuche die lange Autofahrt zu vergessen, die nötig war, um zu diesem kleinen Festival zu kommen. Ich versuche in Ruhe daran zu denken was ich morgen auf der Bühne den Leuten zeigen werde die ich nie gesehen hab, und die ich wahrscheinlich nie wieder sehen werde.
Ich glaube, damals hatte ich das Gefühl erwachsen zu werden, einen klaren Blick auf mein Leben zu haben, gerade Wege zu gehen und zu wissen was ich will. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich niemals erwachsen sein werde und erst recht nie mein Leben in den Griff bekommen kann. Heute hat mich eine Kollegin erinnert, wie ich ihr nach der Geburt meines Sohnes gesagt habe, was mich für eine Traurigkeit befallen hat, als ich entdeckte, wie kurzlebig alles ist. Wenn ich zurückdenke, erfüllt mich alles (oder fast alles) mit einer Art süßer Sehnsucht, ohne dass ich mir wirklich wünsche, die Zeit zurückzudrehen. Ich will vor allem jetzt glücklich sein, jetzt gut leben und froh über das sein was ich tue. Meistens gelingt mir das ganz okay.
Avnee
Wir trafen uns mit den anderen Mädchen im Cafe Nero an der Oxford Street – wir planten in London zusammen zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich noch niemanden und ich war unglaublich schüchtern. Das Bild ist erst drei Jahre alt, aber es war genau zu einer Zeit, in der eine junge Person mit einer rosaroten Brille durch das Leben geht. Nebenbei: Ich war soviel dünner damals. Das T-Shirt, das ich trage, habe ich schon lange nicht mehr. Wir saßen dort und ich denke wir haben uns einen leckeren Kuchen geteilt und ich habe eine heiße Schokolade getrunken, denn damals wie heute konnte und kann ich Kaffee nicht leiden. Der Tag veränderte mein Leben ein bisschen. Die Leute, die ich damals getroffen habe wurden zu meinen besten Freunden.
Im Moment mache ich einem Praktikum bei einem Verlag, wobei ich hoffe, dass ich ein Job dabei herausspringt. Seit dem Polaroid habe ich mich sehr geändert. Ich bin erwachsener geworden, bin nicht mehr schüchtern und würde jemand heute ein Polaroid von mir machen, würde ich nicht mehr schüchtern nach unten sehen – wahrscheinlich hätte ich jetzt ein fettes Grinsen.
Henrike
Ich kann mich nicht wirklich an das Polaroid erinnern, wobei ich vielleicht erwähnen sollte, dass mein Gedächtnis ein sehr schlechtes ist. Ich war damals wohl 27/28. Das Foto wurde vermutlich nach einem Fachklassentreffen in der Hochschule gemacht, da meine damalige Klasse sich regelmäßig getroffen hat. Seitdem studiere ich immer noch Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, habe aber die Fachklasse inzwischen gewechselt. Außerdem habe ich ein eigenes Atelier bezogen und nun einen vierbeinigen Begleiter an meiner Seite. Ich war selber grob gesagt: verschüchtert, unsicher und fehl am Platze. Mittlerweile löst sich der Knoten langsam, und ich finde die Sicherheit zu tun was ich will, setze mir neue Ziele und habe den Mut für diese zu arbeiten.
Josh
Du und ich stellten in London im Amnesty International-Haus in der Old Street aus. Ich kann mich daran erinnern, dass ich auf der Bank saß und mich mit dem Mädchen auf dem Bild unterhielt. Die Dinge, die ich auf dem Bild sehe, stehen in Kontrast zu den Dingen, an die ich mich erinnern kann. Ich weiß nicht genau, wo ich damals im Raum saß, ich erkenne nicht einmal das gerahmte Bild hinter mir und das Mädchen. Hat sie dort ausgestellt? Ich habe sie zu mir hingezogen und ihr Kopf lehnt fast gegen meine Schulter. Es sieht aus, als würden wir uns gut kennen, als wären wir Freunde. Aber meine rechte Hand, die auf ihrer rechten Schulter liegt, sieht nervös aus. Wie etwas, das sich nicht auf dem richtigen Platz befindet. Ich bin 23 Jahre alt in dem Bild.
Nicht lange nach dem Polaroid beendete ich meinen Bachelor in Fotografie. Ich verbrachte das Jahr damit, in England herumzureisen und mein Photographieprojekt fortzusetzen. Ich fotografierte in verschiedenen Gefängnissen. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich daran, auch mehr zu studieren und bewarb mich für den Master in Fotografie am Royal College of Art in London. Dort studiere ich mittlerweile. Körperlich habe ich mich nicht sehr verändert, obwohl ich mich selber immer wieder dazu überzeugen muss, dass ich einen Bauch bekomme. Deswegen versuche ich auch zu Laufen, mache ein paar Sit Ups jeden Morgen, aber es macht nicht wirklich einen Unterschied. Deswegen vergesse ich es ziemlich oft.
Ich lese sehr viel, vor allem momentan, da ich an meiner Dissertation schreibe. Das erlaubt mir, in die Geschichte der Fotografie einzutauchen. Ich bin immer noch fasziniert von der Arbeit August Sandors und Walker Evans. Obwohl ich sehr viel lese und über meine Arbeit sehr viel nachdenke, habe ich immer noch Probleme, meine Ideen auszudrücken. Es ist schwierig die eigenen Ideen zu verstehen und nicht nur an der Oberfläche zu schwimmen.
Isabelle
Ich denke, damals war ich 28 und ich arbeitete beim Park Royal Sicherheitsdienst. Als ich erfahren hatte, dass das Bild im Boneparte, einem Pub in Notting Hill, geschossen wurde, verstand ich wieder die Zusammenhänge. Ich hing da öfter rum, weil mein Ex Freund, Carl, mit dem ich acht Jahre zusammen war dort arbeitete. Mein Ex hatte noch kein Konto, da er seinen Pass verloren hatte und so ging das ganze Geld auf mein Konto und ich musste es ihm immer Freitags vorbeibringen. Eine wahrhaft schöne Entschuldigung ins Pub zu gehen und wir sind ja immer noch die besten Freunde. Carl ist inzwischen mit Clara zusammen, die ich super süß finde. Gott sei Dank, sonst gäbe es Ärger! Was ich seitdem mache? Ein bisschen das übliche – Essen, Trinken und Schlafen. Außerdem habe ich meine Haare gefärbt und mehrere neue Freundschaften geschlossen. Ich habe mich endlich dazu entschlossen, noch mal Graphik Design zu studieren und weil es sowohl in Hamburg als auch in London so teuer ist, hat sich mein Plan in Luft zerschlagen und stattdessen habe ich beschlossen, Kunsttherapie zu studieren. Und es ist wunderbar.
Eddie
Natürlich kann ich mich an das Bild erinnern. Ich habe es schon fast vergessen. Wir lagen im Gras und sprachen über die Zukunft und wie sie sein könnte. Ich denke, alles was wir uns vorstellten wurde Wirklichkeit – nun gut, für mich zumindest. Seit dem Jahr war ich nirgendwo und überall. Ich arbeitete für eine Zelt-Firma in Irland – ich musste Zelte für Hochzeiten, Festivals und Partys aufbauen. Dann ging ich für einen Monat nach Madrid und machte einen CELTA-Kurs – danach kann man Erwachsenen Englischunterricht geben. Das habe ich dann ein halbes Jahr in Budapest gemacht. Ich habe mich in der Zeit in das Land ver- und wieder entliebt und bin nach Irland zurückgekommen und habe wieder Zelten auf- und abgebaut. Dann kam ich nach Sevilla, letzten November, um Spanisch zu lernen und Englischunterricht zu geben. Und das mache ich bis jetzt, und es gefällt mir. Ich reise umher, lerne Wakeboarding, Scuba-Diving, Kajak. Momentan übe ich mich ein bisschen in Capoeira. Ist gut, um seinen Körper und seine Seele in Einklang zu bringen. Zumindest bekomme ich davon einen knackigen Arsch ;-).
Emily
Ich kann meine Schuhe wiedererkennen, die ich damals geliebt habe. Keine Ahnung was mit ihnen passiert ist. Es ist komisch das Bild zu sehen. Ich stehe auf der Cunca Organic Farm in Portugal, eine Erinnerung, die ich fast verloren habe. Es war früher Morgen, als du das Bild gemacht hast. Es war später September und ich war auf meinem Weg nach Südspanien und Marokko. Wir alle schliefen auf Heuballen in diesem alten Steingebäude. Wir aßen frisches Brot, hausgemachte Marmelade, Müsli, und tranken starken Kaffee, jeden Morgen, in der Küche, die im Freien war. Ich war an diesem Ort, weil ich Reisen wollte, nach der Schule, einfach was anderes machen.
Nach dem Aufenthalt bin ich durch Europa gereist und war bei mehreren Bauernhöfen und hab ein bisschen Couchsurfing gemacht. Dann ging ich über Ägypten und Sinai nach Israel und lebte dort auf einem New Age Bauernhof in der Wüste für 4 Monate. Ich ging zurück nach Ägypten und der Türkei, schlussendlich nach Amerika als ich kein Geld mehr hatte. Außerdem war ich irgendwann ein bisschen krank. Ich musste wieder arbeiten und zurück in den Alltag kommen. Im Herbst darauf ging ich dann nach Jerusalem um dort zu studieren. Ich habe dort einen Typen getroffen in dem ich mich verliebte. Kurz habe ich meine Eltern im Sommer besucht, bin aber wieder zu ihm zurückgegangen. Jetzt lebe ich immer noch in Jerusalem. Ich schreibe Bücher und Reportagen, besuche einige Kurse in der Stadt, arbeite in einem Gesundheitszentrum und ich werde heiraten.
Das Reisen selber hat mich so viel gelehrt: Teilen, Freundschaften, Offenheit, und die eigene Persönlichkeit herauszufordern. Das Jahr hat mir geholfen, meine Augen zu öffnen und ich denke es war eine gute Pause in meinem Leben, in dem ich mich neu finden musste. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre zu der Zeit ein bisschen ungezwungener gewesen, aber naja, vielleicht bin das auch einfach ich. Wäre ich in Amerika geblieben wäre ich womöglich um so viel mehr ängstlich als heute. Ich wäre gelangweilt von meiner Arbeit und meiner Beziehung. Ich denke alles was ich erlebt habe, hat mich geprägt.
Franziska
Wir arbeiteten beide im Restaurant des Zoos in Leipzig als Kellnerinnen. Ich glaube das Bild ist an deinem letzten Arbeitstag entstanden und du hast mich gebeten es machen zu dürfen, als Erinnerung. Es war am Ende der Pause, draußen auf der Terrasse. Ich war 23, glaub ich. In erster Linie war ich Student, Musik und Deutsch auf Lehramt/Mittelschule. Nebenher habe ich in einem Restaurant im Zoo gekellnert, wo dieses Bild auch entstanden ist. Seit dem habe ich immer brav weiter studiert, bin auch immer noch nicht fertig. Ich hatte circa sieben verschiedene Nebenjobs, die hatten aber fast alle was mit Kellnern zu tun. Ansonsten hab ich mein Leben gelebt und genossen, aber nichts wirklich Erwähnenswertes, außer: letzten Sommer wurde ich schwanger. Zur Zeit unterbreche ich mein Studium und bin in Elternzeit. Mein Sohn Jakob kam am 9. April zur Welt und ist jetzt zehn Wochen alt. Seitdem dreht sich eigentlich alles nur noch um ihn, logischerweise. Natürlich bin ich immer noch im schönen Leipzig und wohne inzwischen mit dem Papa von Jakob zusammen. Zu dritt leben wir ein richtig schön spießiges Familienleben. Aber das ist toll. Damals war ich unzufrieden, da ich mir damals schon ein Kind gewünscht hatte, aber mein Freund noch nicht wollte. Jetzt hab ich eins.
<
►
>
OLYMPUS DIGITAL CAMERA
Presse
Das Projekt mein Leben nach dem Polaroid wurde als Serie in der Zeitschrift jetzt.de und bei Spiegel online gezeigt. Es war Teil einer Einzelausstellung und in den nächsten Jahren ist ein Dokumentarfilm mit multimedialer Ebene geplant.
Mein Leben nach dem Polaroid
seit 2006, Weltweit
„Die Fotografin Evi Lemberger, 24, bereiste die Welt und hielt ihre Begegnungen mit der Sofortbildkamera fest. Für das Jugendmagazin „Jetzt.de“ nahm sie Kontakt zu den alten Bekannten auf und wollte wissen: Was geschah seit dem Bild? Ein Projekt über das Erwachsenwerden.“ (http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/fotoprojekt-mein-leben-nach-dem-polaroid-a-647654.html)
Ongoing photography project about people in Evi Lemberger’s life, who she documented with her Polaroid camera. In a series for the magazine jetzt.de she contacted those people again.
Julian
Als ich das Bild gesehen habe konnte ich mich zuerst nicht erinnern! Ich war 23 (unglaublich, viel länger her als ich dachte . . . ) und es war einer meiner seltenen Besuche bei meinen Eltern. Ich war damals schon in der Schweiz an der Artistenschule und deswegen nur selten da. Im Januar bin ich auf einen Schlag diplomierter Zirkusartist, verheiratet und Vater. Seitdem trete ich mit meiner Jonglagenummer auf, gebe Kindern und Erwachsenen Kurse und trainiere weiter meine Technik. Seit Oktober 2008 habe ich mit zwei anderen Jongleuren eine Show, und ich bin dabei ein Netzwerk aus Kontakten zu spinnen um damit regelmäßig aufzutreten. Dieses Wochenende bin ich auf einem Kunstfestival im Westen Frankreichs und morgen trete ich auf. Tief drinnen spüre ich langsam ein bisschen Nervosität . . .
Seit Januar wohne ich nicht mehr an der Artistenschule in Genf, wo ich immerhin vier Jahre verbracht habe. Mein Haus ist der Wohnwagen, und es zieht regelmäßig mit mir um. Vor allem lerne ich Vater zu sein und einen kleinen Jungen zu begleiten, der jede Woche ganz anders ist, und jedes Mal versuche ich nicht zu vergessen wie er genau in dem Moment ist, und jedes Mal vergesse ich es doch.
Jetzt liege ich im Kofferraum meines Lieferwagens auf meinem Bett und versuche die lange Autofahrt zu vergessen, die nötig war, um zu diesem kleinen Festival zu kommen. Ich versuche in Ruhe daran zu denken was ich morgen auf der Bühne den Leuten zeigen werde die ich nie gesehen hab, und die ich wahrscheinlich nie wieder sehen werde.
Ich glaube, damals hatte ich das Gefühl erwachsen zu werden, einen klaren Blick auf mein Leben zu haben, gerade Wege zu gehen und zu wissen was ich will. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich niemals erwachsen sein werde und erst recht nie mein Leben in den Griff bekommen kann. Heute hat mich eine Kollegin erinnert, wie ich ihr nach der Geburt meines Sohnes gesagt habe, was mich für eine Traurigkeit befallen hat, als ich entdeckte, wie kurzlebig alles ist. Wenn ich zurückdenke, erfüllt mich alles (oder fast alles) mit einer Art süßer Sehnsucht, ohne dass ich mir wirklich wünsche, die Zeit zurückzudrehen. Ich will vor allem jetzt glücklich sein, jetzt gut leben und froh über das sein was ich tue. Meistens gelingt mir das ganz okay.
Avnee
Wir trafen uns mit den anderen Mädchen im Cafe Nero an der Oxford Street – wir planten in London zusammen zu ziehen. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich noch niemanden und ich war unglaublich schüchtern. Das Bild ist erst drei Jahre alt, aber es war genau zu einer Zeit, in der eine junge Person mit einer rosaroten Brille durch das Leben geht. Nebenbei: Ich war soviel dünner damals. Das T-Shirt, das ich trage, habe ich schon lange nicht mehr. Wir saßen dort und ich denke wir haben uns einen leckeren Kuchen geteilt und ich habe eine heiße Schokolade getrunken, denn damals wie heute konnte und kann ich Kaffee nicht leiden. Der Tag veränderte mein Leben ein bisschen. Die Leute, die ich damals getroffen habe wurden zu meinen besten Freunden.
Im Moment mache ich einem Praktikum bei einem Verlag, wobei ich hoffe, dass ich ein Job dabei herausspringt. Seit dem Polaroid habe ich mich sehr geändert. Ich bin erwachsener geworden, bin nicht mehr schüchtern und würde jemand heute ein Polaroid von mir machen, würde ich nicht mehr schüchtern nach unten sehen – wahrscheinlich hätte ich jetzt ein fettes Grinsen.
Henrike
Ich kann mich nicht wirklich an das Polaroid erinnern, wobei ich vielleicht erwähnen sollte, dass mein Gedächtnis ein sehr schlechtes ist. Ich war damals wohl 27/28. Das Foto wurde vermutlich nach einem Fachklassentreffen in der Hochschule gemacht, da meine damalige Klasse sich regelmäßig getroffen hat. Seitdem studiere ich immer noch Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, habe aber die Fachklasse inzwischen gewechselt. Außerdem habe ich ein eigenes Atelier bezogen und nun einen vierbeinigen Begleiter an meiner Seite. Ich war selber grob gesagt: verschüchtert, unsicher und fehl am Platze. Mittlerweile löst sich der Knoten langsam, und ich finde die Sicherheit zu tun was ich will, setze mir neue Ziele und habe den Mut für diese zu arbeiten.
Josh
Du und ich stellten in London im Amnesty International-Haus in der Old Street aus. Ich kann mich daran erinnern, dass ich auf der Bank saß und mich mit dem Mädchen auf dem Bild unterhielt. Die Dinge, die ich auf dem Bild sehe, stehen in Kontrast zu den Dingen, an die ich mich erinnern kann. Ich weiß nicht genau, wo ich damals im Raum saß, ich erkenne nicht einmal das gerahmte Bild hinter mir und das Mädchen. Hat sie dort ausgestellt? Ich habe sie zu mir hingezogen und ihr Kopf lehnt fast gegen meine Schulter. Es sieht aus, als würden wir uns gut kennen, als wären wir Freunde. Aber meine rechte Hand, die auf ihrer rechten Schulter liegt, sieht nervös aus. Wie etwas, das sich nicht auf dem richtigen Platz befindet. Ich bin 23 Jahre alt in dem Bild.
Nicht lange nach dem Polaroid beendete ich meinen Bachelor in Fotografie. Ich verbrachte das Jahr damit, in England herumzureisen und mein Photographieprojekt fortzusetzen. Ich fotografierte in verschiedenen Gefängnissen. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich daran, auch mehr zu studieren und bewarb mich für den Master in Fotografie am Royal College of Art in London. Dort studiere ich mittlerweile. Körperlich habe ich mich nicht sehr verändert, obwohl ich mich selber immer wieder dazu überzeugen muss, dass ich einen Bauch bekomme. Deswegen versuche ich auch zu Laufen, mache ein paar Sit Ups jeden Morgen, aber es macht nicht wirklich einen Unterschied. Deswegen vergesse ich es ziemlich oft.
Ich lese sehr viel, vor allem momentan, da ich an meiner Dissertation schreibe. Das erlaubt mir, in die Geschichte der Fotografie einzutauchen. Ich bin immer noch fasziniert von der Arbeit August Sandors und Walker Evans. Obwohl ich sehr viel lese und über meine Arbeit sehr viel nachdenke, habe ich immer noch Probleme, meine Ideen auszudrücken. Es ist schwierig die eigenen Ideen zu verstehen und nicht nur an der Oberfläche zu schwimmen.
Isabelle
Ich denke, damals war ich 28 und ich arbeitete beim Park Royal Sicherheitsdienst. Als ich erfahren hatte, dass das Bild im Boneparte, einem Pub in Notting Hill, geschossen wurde, verstand ich wieder die Zusammenhänge. Ich hing da öfter rum, weil mein Ex Freund, Carl, mit dem ich acht Jahre zusammen war dort arbeitete. Mein Ex hatte noch kein Konto, da er seinen Pass verloren hatte und so ging das ganze Geld auf mein Konto und ich musste es ihm immer Freitags vorbeibringen. Eine wahrhaft schöne Entschuldigung ins Pub zu gehen und wir sind ja immer noch die besten Freunde. Carl ist inzwischen mit Clara zusammen, die ich super süß finde. Gott sei Dank, sonst gäbe es Ärger! Was ich seitdem mache? Ein bisschen das übliche – Essen, Trinken und Schlafen. Außerdem habe ich meine Haare gefärbt und mehrere neue Freundschaften geschlossen. Ich habe mich endlich dazu entschlossen, noch mal Graphik Design zu studieren und weil es sowohl in Hamburg als auch in London so teuer ist, hat sich mein Plan in Luft zerschlagen und stattdessen habe ich beschlossen, Kunsttherapie zu studieren. Und es ist wunderbar.
Eddie
Natürlich kann ich mich an das Bild erinnern. Ich habe es schon fast vergessen. Wir lagen im Gras und sprachen über die Zukunft und wie sie sein könnte. Ich denke, alles was wir uns vorstellten wurde Wirklichkeit – nun gut, für mich zumindest. Seit dem Jahr war ich nirgendwo und überall. Ich arbeitete für eine Zelt-Firma in Irland – ich musste Zelte für Hochzeiten, Festivals und Partys aufbauen. Dann ging ich für einen Monat nach Madrid und machte einen CELTA-Kurs – danach kann man Erwachsenen Englischunterricht geben. Das habe ich dann ein halbes Jahr in Budapest gemacht. Ich habe mich in der Zeit in das Land ver- und wieder entliebt und bin nach Irland zurückgekommen und habe wieder Zelten auf- und abgebaut. Dann kam ich nach Sevilla, letzten November, um Spanisch zu lernen und Englischunterricht zu geben. Und das mache ich bis jetzt, und es gefällt mir. Ich reise umher, lerne Wakeboarding, Scuba-Diving, Kajak. Momentan übe ich mich ein bisschen in Capoeira. Ist gut, um seinen Körper und seine Seele in Einklang zu bringen. Zumindest bekomme ich davon einen knackigen Arsch ;-).
Emily
Ich kann meine Schuhe wiedererkennen, die ich damals geliebt habe. Keine Ahnung was mit ihnen passiert ist. Es ist komisch das Bild zu sehen. Ich stehe auf der Cunca Organic Farm in Portugal, eine Erinnerung, die ich fast verloren habe. Es war früher Morgen, als du das Bild gemacht hast. Es war später September und ich war auf meinem Weg nach Südspanien und Marokko. Wir alle schliefen auf Heuballen in diesem alten Steingebäude. Wir aßen frisches Brot, hausgemachte Marmelade, Müsli, und tranken starken Kaffee, jeden Morgen, in der Küche, die im Freien war. Ich war an diesem Ort, weil ich Reisen wollte, nach der Schule, einfach was anderes machen.
Nach dem Aufenthalt bin ich durch Europa gereist und war bei mehreren Bauernhöfen und hab ein bisschen Couchsurfing gemacht. Dann ging ich über Ägypten und Sinai nach Israel und lebte dort auf einem New Age Bauernhof in der Wüste für 4 Monate. Ich ging zurück nach Ägypten und der Türkei, schlussendlich nach Amerika als ich kein Geld mehr hatte. Außerdem war ich irgendwann ein bisschen krank. Ich musste wieder arbeiten und zurück in den Alltag kommen. Im Herbst darauf ging ich dann nach Jerusalem um dort zu studieren. Ich habe dort einen Typen getroffen in dem ich mich verliebte. Kurz habe ich meine Eltern im Sommer besucht, bin aber wieder zu ihm zurückgegangen. Jetzt lebe ich immer noch in Jerusalem. Ich schreibe Bücher und Reportagen, besuche einige Kurse in der Stadt, arbeite in einem Gesundheitszentrum und ich werde heiraten.
Das Reisen selber hat mich so viel gelehrt: Teilen, Freundschaften, Offenheit, und die eigene Persönlichkeit herauszufordern. Das Jahr hat mir geholfen, meine Augen zu öffnen und ich denke es war eine gute Pause in meinem Leben, in dem ich mich neu finden musste. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre zu der Zeit ein bisschen ungezwungener gewesen, aber naja, vielleicht bin das auch einfach ich. Wäre ich in Amerika geblieben wäre ich womöglich um so viel mehr ängstlich als heute. Ich wäre gelangweilt von meiner Arbeit und meiner Beziehung. Ich denke alles was ich erlebt habe, hat mich geprägt.
Franziska
Wir arbeiteten beide im Restaurant des Zoos in Leipzig als Kellnerinnen. Ich glaube das Bild ist an deinem letzten Arbeitstag entstanden und du hast mich gebeten es machen zu dürfen, als Erinnerung. Es war am Ende der Pause, draußen auf der Terrasse. Ich war 23, glaub ich. In erster Linie war ich Student, Musik und Deutsch auf Lehramt/Mittelschule. Nebenher habe ich in einem Restaurant im Zoo gekellnert, wo dieses Bild auch entstanden ist. Seit dem habe ich immer brav weiter studiert, bin auch immer noch nicht fertig. Ich hatte circa sieben verschiedene Nebenjobs, die hatten aber fast alle was mit Kellnern zu tun. Ansonsten hab ich mein Leben gelebt und genossen, aber nichts wirklich Erwähnenswertes, außer: letzten Sommer wurde ich schwanger. Zur Zeit unterbreche ich mein Studium und bin in Elternzeit. Mein Sohn Jakob kam am 9. April zur Welt und ist jetzt zehn Wochen alt. Seitdem dreht sich eigentlich alles nur noch um ihn, logischerweise. Natürlich bin ich immer noch im schönen Leipzig und wohne inzwischen mit dem Papa von Jakob zusammen. Zu dritt leben wir ein richtig schön spießiges Familienleben. Aber das ist toll. Damals war ich unzufrieden, da ich mir damals schon ein Kind gewünscht hatte, aber mein Freund noch nicht wollte. Jetzt hab ich eins.
Presse
Das Projekt mein Leben nach dem Polaroid wurde als Serie in der Zeitschrift jetzt.de und bei Spiegel online gezeigt. Es war Teil einer Einzelausstellung und in den nächsten Jahren ist ein Dokumentarfilm mit multimedialer Ebene geplant.